Im Bann der Leidenschaft
spürte, daß er allmählich die Geduld verlor. Während der fast schlaflosen Nacht hatte sie überlegt, was sie tun sollte. Konnte sie ihn heiraten und Sasha vergessen? Oder wäre es besser, allein zu leben?
Langsam ging sie die fashionable, von Palmen gesäumte Strandpromenade entlang, und Bobby sprang vor ihr her. Um diese frühe Stunde waren noch keine Leute unterwegs. Unter einem breitrandigen, mit Blumen geschmückten Strohhut glänzten Zenas seidige kastanienrote Locken im Sonnenschein. Das weitgeschnittene narzissengelbe Leinenkleid flatterte in der milden Brise.
Auch auf der Straße herrschte kaum Verkehr. Nur eine einzige Kutsche fuhr in westliche Richtung. Ein dunkelhäutiger Mann in den fließenden Gewändern des Nahen Ostens saß darin, erschöpft von einer langen Nacht im Spielcasino von Monte Carlo. Bald würde er seine komfortable Hotelsuite erreichen.
In ihre Gedanken versunken, nahm Zena den Wagen nicht wahr, während sie dahin schlenderte.
Die Augen halb geschlossen, betrachtete der Mann geistesabwesend das Meer zu seiner Linken. Plötzlich richtete er sich auf. »Halt!«
Der Kutscher zügelte die Pferde und drehte sich zu seinem Fahrgast um, der zum Ufer starrte. Verwundert folgte er dem Blick des Türken. Auf der Promenade war nichts Ungewöhnliches zu sehen. Nur ein paar Möwen, die ihr Frühstück suchten, eine Spaziergängerin, ein kleiner Junge …
Der dunkelhäutige Mann mit dem schwarzen Bart schien die Frau zu mustern. Dann befahl er: »Zum Hotel! Schnell!«
Sobald der Wagen vor dem Hoteleingang hielt, stieg der Fahrgast aus und warf dem Kutscher ein paar Münzen zu. Hastig durchquerte er die Halle. Statt auf den Lift zu warten, erklomm er die beiden Treppenfluchten, die zu seiner Suite führten, und riß die Tür auf. »Ali, Kufir, Softi, lauft sofort zur Promenade!« Die drei Leibwächter sprangen von dem Sofa auf, wo sie geschlafen hatten. »Folgt der Frau im gelben Kleid. Ich will wissen, wo sie wohnt.«
Wortlos rannten die drei aus dem Zimmer. Ibrahim Beys junger Neffe Abdulhamit sank in einen Sessel und lächelte zufrieden. Soeben hatte er Delilah entdeckt.
Ohne zu ahnen, daß sie beobachtet wurden, saßen Zena und Bobby auf einer Bank. Nachdem sie sich eine Weile ausgeruht hatten, kehrten sie zur Pension zurück. Der Spaziergang war sinnlos gewesen, denn Zena wußte noch immer nicht, wie sie sich entscheiden sollte. Warum ließen sich die Erinnerungen an Sasha nicht verdrängen? Alles wäre so einfach – sie könnte Alistairs Antrag annehmen, er würde sie lieben und für sie sorgen.
Als er Zena im Lauf des Vormittags besuchte, bat sie: »Verzeih mir – ich brauche noch etwas Zeit.«
Eine Stunde später berichteten Abduls Leibwächter, wo die Frau wohnte, und er ging zu Bett. Er schlief bis zum späten Nachmittag. Dann badete er, kleidete sich an und schmiedete Pläne. Einer der Diener hatte inzwischen bei der Pension Wache gehalten. Um sechs wurde er abgelöst und erzählte, was er von den Ladenbesitzern in der Nachbarschaft erfahren hatte. Offenbar war Delilah verwitwet. Seltsam – innerhalb weniger Monate? Doch das fand Abdul nicht so wichtig. Sie schien allein mit dem kleinen Jungen zu leben, wurde aber häufig in Begleitung eines Engländers gesehen.
Allah sei Dank, dachte Abdul triumphierend. Also wird die schöne Delilah doch noch meinen Harem zieren. Zunächst mußte er Ibrahim Bey verständigen. Er wohnte nur vorübergehend in Nizza, um im Casino von Monte Carlo zu spielen, ehe er nach Paris Weiterreisen und als Gesandter seines Onkels den französischen Außenminister besuchen würde. Nun beschloß er, den Urlaub am Meer zu verkürzen und schon am nächsten Morgen in die Hauptstadt zu fahren. Drei Tage würde er brauchen, um seine Depeschen zu übergeben. Dann wollte er mit einer schönen Reisegefährtin nach Kurdistan zurückkehren. Wie sein prüfender Blick festgestellt hatte, war Delilah hochschwanger. In einem Jahr würde sie auch ihm ein Kind schenken. Der Gedanke, sie zu besitzen und seinen Samen in ihren Schoß zu pflanzen, erregte ihn. Daß er die reizvolle Frau damals an diesen barbarischen russischen Prinzen verloren hatte, war in all den Monaten ein unvergeßliches Ärgernis gewesen.
Rastlos wanderte er in seinem Hotelzimmer umher.
Die Schatten wurden immer länger. Sobald die Nacht hereinbrach, hüllte er sich ebenso wie seine Diener in eine schwarze Robe. Auf dem Weg zu Zenas Pension verschmolzen sie mit der mondlosen Dunkelheit. Ali wurde vor
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