Im Bann der Leidenschaften
sein, mitanzusehen, wie sein bester Freund mich von hinten genommen hat – und wie ich vor unbändigem Verzücken vergangen bin. Oh. Gott.
„Hast du mich darum nachher im Auto gevögelt, vor Jerômes Augen?“
„Ich denke schon.“
„Du denkst schon?“
„Annie, sag mir, was ich hätte tun sollen? Hätte ich dich auf unserer Hochzeit stellen sollen? Hätte ich eine Szene machen sollen, die Gäste nach Hause schicken?“
Betreten senke ich den Blick. Hätte mir jemand vor einer Woche gesagt, dass ich mich einmal in dieser Situation befinden würde, ich hätte mich totgelacht. Annie Salinger, ach nein, Annie Duvall, geborene Salinger, geborenes Landei, fickt in ihrer Hochzeitsnacht (und am Tag davor) mit dem besten Freund ihres Mannes. Und macht ein Heidentheater, als ihr Mann zu einem Trick greift, um ein Geschenk für sie zu besorgen. Ja, ich hätte mich totgelacht. Und jetzt wäre ich am liebsten tot.
„Annie, wir sollten nichts überstürzen.“
„Wie meinst du das?“
„Ich verzeihe dir, Annie.“
Fassungslos starre ich meinen Mann an.
„Ja, Annie, ich verzeihe dir.“
„Wie kannst du mir verzeihen? Hättest du gehandelt wie ich, ich würde es dir niemals verzeihen, Philippe. Niemals!“
„Annie, ich liebe dich über alles. Ich will dich nicht verlieren, bloß wegen einem bisschen Sex.“
Wegen einem bisschen Sex? Das war der Sex des Jahrhunderts, zumindest nach meinen Maßstäben. Wenn ich nur daran denke, wird mir ganz schwindlig.
„Sex bedeutet viel, Annie, aber er bedeutet nicht alles. Nicht in meinen Augen. Als ich dich zum ersten Mal sah, in dem Hotel deiner Eltern, in deinen gruseligen Jeans, da wusste ich: Die ist es! Die oder keine! Das ist die Frau meines Lebens.“
„Die Hundertste.“
„Das mit den hundert Frauen habe ich doch nur so daher gesagt. Ich habe nicht gezählt!“
Das wird ja immer schlimmer! Meine Schuld wächst und wächst. Wie könnte ich zur Tagesordnung übergehen, nach allem, was zwischen uns vorgefallen ist?
„Annie“, unterbricht Philippe meine selbstzerstörerischen Gedanken, „wir sind füreinander geschaffen.“
„Aber ich will nicht, dass du mich betrügst!“
„Annie, ich betrüge dich nicht. Ich liebe dich. Wir sind Seelenverwandte, die zufällig auch gut im Bett harmonieren. Merkst du das denn immer noch nicht?“
„Im Augenblick merke ich gar nichts mehr. Ich bin völlig von der Rolle.“ In dem Moment knurrt mein Magen. Seit dem Dinner im Wasser habe ich nichts gegessen und ich kann mich auch nicht erinnern, etwas getrunken zu haben.
Philippe hat meinen rumorenden Magen gehört. Zuvorkommend wie ich ihn kennengelernt habe, winkt er der Stewardess und ordert für jeden von uns ein Frühstück. Bis die Stewardess es serviert, starren wir beide schweigend vor uns hin. Die Zeitanzeige auf dem Bildschirm vor mir verkündet elf Uhr. Noch fünf Stunden Flug liegen vor uns.
„Madame“, reißt mich die Flugbegleiterin aus den Gedanken. Erst jetzt bemerke ich, dass sie leuchtend rote Haare hat. Wie Mel.
Philippe klappt das kleine Tischchen für mich aus der Armlehne meines Sitzes. Ich bin froh, dass die Lehne mit der aufklappbaren Abdeckung sich zwischen uns befindet und nicht an meiner linken Seite, am Fenster. Wer weiß, wie ich reagiert hätte, wenn Philippe sich über mich gebeugt hätte.
„Danke sehr“, sage ich in zwei Richtungen.
„Bon Appétit.“
Die Stewardess verschwindet und Philippe reißt die Alufolie von meinem Joghurtbecher herunter. Dann taucht er einen Löffel in den Joghurt und hält ihn mir an die Lippen.
„Nur ein Löffelchen“, forderte er mich auf.
Unwillkürlich öffne ich den Mund. Der kühle Naturjoghurt tut gut. So gut schmeckt mir sonst nur Sahnejoghurt.
Philippe schiebt gleich noch einen Löffel hinterher. Ich spüre die weiße Masse auf meiner Zunge, wärme sie an und schlucke sie hinunter. Jetzt fühle ich mich schon ein klein wenig besser. Essen hilft bei mir immer. Beherzt greife ich nach einem Croissant. Es ist ganz warm und der knusprige Teig verformt sich unter dem Druck meiner Finger. Herzhaft beiße ich hinein, schließe die Augen und kaue den köstlichen Teig.
„Butter?“ Philippe wartet meine Antwort gar nicht ab, sondern streicht ein Scheibchen Butter an die Bissfläche meines Croissants. Damit das gelingt, hält er meine Hand, die das Croissant hält.
Gespannt horche ich in mich hinein. Doch da ist nichts. Philippes Berührung löst bei mir rein gar keine Reaktion aus. Kein Kribbeln,
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