Im Bann der Leidenschaften
später fahren wir in die Zielstraße ein.
„Ist das der Place Pigalle?“ Janes Blick drückt Ekel aus.
„Ich möchte nicht wissen, meine Liebe“, lache ich, „wie dein Gesicht jetzt aussähe, wenn wir wirklich nach Pigalle gefahren wären.“
Aber ich muss schon zugeben, dass die Gegend rund um die Rue Marceau nicht gerade der Garten von Versailles ist.
„Wir könnten genauso gut irgendwo in Mexico City sein“, bemerkt Mary-Beth treffend und gibt dem Taxifahrer das Geld für die Fahrt.
Die ein- und zweistöckigen Gebäude in der Rue Marceau sehen aus wie Garagen. Die meisten Schuppen sind verbarrikadiert. Tagsüber, wenn die Besitzer ihre Läden öffnen, sieht es hier aus wie auf einem Bazar. Dann ist die Straße voller Menschen. Jetzt steht nur eine lange Schlange vor der kultigen, rot gestrichenen Außenfassade des Barone.
Nachdem wir uns aus dem Wagen geschält haben, gebe ich dem Taxifahrer einen Zehner auf den regulären Fahrpreis. Ich nicke ihm zu. Wir verstehen uns gerade wortlos.
„Hätte ich mehr Trinkgeld geben sollen?“ Mary-Beth sieht mich erschrocken an.
Ich schüttele den Kopf und reihe mich in die Schlange vor dem Club ein. Meine Freundinnen folgen mir. In unserem Aufzug sorgen wir sogar hier, zwischen all den totschicken und ausgefallenen gekleideten Leuten, für Aufsehen.
„ Der Taxifahrer wartet“, erkläre ich. „Nur für den Fall, dass wir nicht am Türsteher vorbeikommen.“
Allerdings hätte ich mir über den Türsteher keine Gedanken machen müssen. Er winkt uns zu sich. „Les Princesses“, sagt er und zeigt auf den Eingang. Die Leute in der Schlange stecken lachend die Köpfe zusammen. Ohne einen Cent Eintritt zu zahlen kommen wir in den Club.
Wie auf Kommando greift Jane meinen rechten Arm, Mel packt den linken. Dann ergreift jede einen meiner Oberschenkel. Mary-Beth schnappt sich meine Füße. Mit vereinten Kräften wuchten die Drei mich hoch und tragen mich wie auf einer Sänfte in den Club. Ich kreische vor Schreck und mein Gesicht läuft puterrot an. Hinter mir amüsiert sich die Meute köstlich. Eigentlich wollte ich nicht noch mehr Aufsehen erregen. Die Blicke wegen unserer Kostüme reichen mir voll und ganz. Ich protestiere lautstark und zappele mit Armen und Beinen, winden kann ich mich nicht, da sonst mein Kleid platzt. Meine Freundinnen kümmern sich nicht um mich. Entschlossen tragen sie mich bis ins Innerste des Clubs, in den Lounge-Bereich. Dort räumt ein Pärchen eine der runden Sitzgelegenheiten für uns. Mary-Beth lässt meine Füße los, Jane und Mel setzen mich auf dem hellen Polster ab. In dem Augenblick entdecke ich ihn. Der Mann, der mich bei Chanel angesprochen hat, stellt sich mit dem Rücken an die nahe Bar und sieht zu uns hinüber. Er trägt eine schwarze Lederjacke und eine Sonnenbrille, doch ich bin mir sicher, dass er es ist.
Mir bricht der Schweiß aus , obwohl die Luft für einen Club, in dem auch getanzt wird, eher angenehm ist. Ich will nicht, dass der Mann mich erkennt und senke den Kopf. Aber da hat er sich ohnehin schon umgedreht. Und jetzt bin ich enttäuscht.
Ich schüttele den Kopf über mich selbst. In zwei Tagen heirate ich. Mit allem Tam Tam. Meine Freundinnen sind bereits angereist, meine Eltern und Verwandten kommen noch. Philippes große Verwandtschaft und Bekanntschaft ist geladen. Es wird eine dieser Wahnsinnshochzeiten, wie es sie sonst nur in den USA gibt. In nur vier Wochen hat ein Wedding Planner, der spezialisiert ist auf amerikanische Hochzeiten in Paris, all das auf die Reihe gekriegt. Mein Vater und besonders Philippe geben ein Vermögen für diese Hochzeit aus. Und ich bin enttäuscht, weil irgendein Franzose, der aussieht wie ein Boxer, mich nicht wiedererkennt.
Ich bestelle mir einen Campari Orange bei dem Kellner, der mit einem breiten Grinsen im Gesicht an unseren Tisch tritt. Meine Freundinnen bleiben bei Weißwein. Mel erklärt dem Kellner ganz langsam und umständlich auf Amerikanisch, dass wir meinen Junggesellinnenabschied feiern und sonst ganz normal sind. Ich blicke verstohlen zu dem Boxer hinüber, beziehungsweise zu dem Platz, an dem er eben noch gestanden hat. Die Stelle ist belegt von einem blutjungen Paar.
„Tanzen“, brüllt Mel, obwohl es in der Lounge deutlich leiser ist als in einer normalen Diskothek. Es gibt einige Leute, die sich angeregt unterhalten, ohne die Stimmen zu erheben. Ein paar Männer und Frauen drehen sich zu Mel um. Beim Anblick der Meerjungfrau huscht den meisten
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