Im Bann der Liebe
er dann ruhig, aber mit angespannter Stimme an. »Wenn Sie lieber nicht für sie kochen wollen, kann ich etwas aus dem Hotel bringen lassen.«
Maisie fasste sich langsam wieder und wischte sich die Hände an der Schürze sauber. »Es ist noch Räucherschinken da.
Den könnte ich mit Kartoffeln und Gemüse anbieten. Für wie viele Personen soll ich decken?«
»Für sechs.« Er sah Susannah ganz kurz an. So, wie er sprach, hätte sie den Raum schon verlassen haben können. »Miss McKittrick eingeschlossen. Sehen Sie zu, dass sie etwas Passendes anzuziehen hat.«
Susannah sprang auf. »Ich will nicht...«, begann sie, aber er war gegangen, ehe sie zu Ende gesprochen hatte.
»Besser, Sie tun, was Mr. Fairgrieve sagt, wenn es hier Frieden geben soll«, riet Maisie.
»Ich will nicht mit Fremden zusammen essen!«, rief Susannah. Sie hatte auch keine Lust dazu, sich mit Julias Kleidern zu schmücken, die ihr wahrscheinlich nicht einmal standen. »Außerdem bin ich kein Hausgast, ich bin das Kindermädchen. Warum nur will er ... ?«
»Diese Stadt ist sein Zuhause, Miss - und das des Babys. Und Sie waren die beste Freundin der Missus, was Sie zu mehr macht als einem Kindermädchen. Wenn Sie sich des kleinen Würmchens annehmen wollen, müssen Sie eine Position hier in der Stadt finden.«
Maisie hatte Recht. Zumindest vorerst musste sie jeden Versuch unternehmen, in Seattle Fuß zu fassen. Aubrey Fairgrieves Freunde und Bekannte kennen zu lernen gehörte dazu, ob es ihr gefiel oder nicht. Nachdenklich trank Susannah ihren Tee aus, ließ dann das Baby bei Maisie und ging nach oben, um ihre Kleider durchzusehen.
Die vier altmodischen, oft geflickten Röcke hatten seit dem Vortag keine wundersame Wandlung erfahren. Sie waren wenig aufregend und für jede Art gesellschaftlichen Ereignisses unpassend. Ihr Anblick füllte sie mit einer Trauer, die in keinem Verhältnis zu dem Verlust ihrer Freundin stand. Als junges Mädchen hatte sie von Tänzern und Festen und einer Ehe geträumt. Sie war intelligent und recht gebildet - sie hatte so gut wie jedes Buch aus der Bücherei von St. Marys gelesen, und sie spielte gut genug Klavier, um Schüler zu unterrichten - und doch war sie irgendwie eine Außenseiterin geblieben.
Sie schloss einen Moment die Augen. Um des Kindes willen betrat sie dann schließlich Julias Zimmer, das neben dem Aubreys lag. Überrascht entdeckte sie, dass die Sachen ihrer Freundin auf Bett und Kommode ausgebreitet dalagen, als hätte sie das Zimmer nur kurz verlassen und würde gleich zurückkommen. Das Zimmer war sauber und roch leicht nach Julias Parfüm wie die schattenhafte Erinnerung an einen Traum. Auf dem Nachttisch lag ein aufgeschlagenes Buch, und stirnrunzelnd fuhr Susannah den Titel mit dem Finger nach. Sie hatte Julia nie freiwillig lesen sehen, sie war immer zu rastlos und ungeduldig gewesen, um sich konzentrieren zu können. Und doch lag hier der neueste Roman von Walter Scott, halb gelesen.
An der Wand standen riesige Schränke. Susannah straffte den Rücken und betrachtete die entzückenden Kleider, deren prächtige Stoffe und leuchtende Farben ihr viel besser gefielen, als ihr lieb war. Das waren die Kleider einer Märchenprinzessin.
Mit angehaltenem Atem zog sie ein schwarzes Samtkleid vom Bügel und trat an den Spiegel, um es sich vorzuhalten. Das Kleid war schlicht, aber mit dem Besatz kleiner Perlen an Ausschnitt und Ärmeln hochelegant.
Sie drehte sich hin und her und stellte sich vor, wie sie in dem Kleid aussähe. Natürlich würde es ihr nicht passen, denn Julia war etwas kräftiger und nicht so groß gewesen, aber ein paar Stiche würden es passend machen.
Dann zögerte sie. Bei aller Sehnsucht, dieses Kleid zu tragen, spürte Susannah ihren Stolz widersprechen. Sie hatte ihre
Freundin gern gehabt, und sie liebte deren Kind wie ihr eigenes, doch es widerstrebte ihr, die abgelegten Sachen der anderen Frau zu tragen, wie schön sie auch sein mochten.
Aber sie hatte keine Wahl. Das Baby hatte bereits ihr Herz erobert, und um seinetwillen musste sie ihre Gefühle zurückstellen.
Jasper und die Kleine gingen nach einem frühen Abendessen ins Bett, und Susannah zog das schwarze Kleid an, um es von Maisie abstecken zu lassen. Brust und Taille mussten abgenommen werden, der Saum verlängert, aber Susannah hatte in St. Marys gelernt zu nähen, und sah darin kein Problem. Als sie das Kleid nach einem warmen Bad anzog, sah es aus, als wäre es für sie gemacht worden. Mit aufgesteckten
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