Im Bann der Lilie (Complete Edition)
Chevalier will dieses Buch in die Hand bekommen?“, fragte Clement weiter nach. Ihm war die Tragweite des ihm gerade anvertrauten Geheimnisses gar nicht bewusst geworden.
Der Marquis schüttelte nachsichtig den Kopf. „Marcel weiß gar nichts von dem Buch. Der besagte Spruch ist der Preis für das Überleben seiner Liebe.“
Jetzt begriff Clement zumindest, dass der Marquis hinter Marcel her war und ein wahrer Teufel sein konnte, wenn es darum ging, seine Vorhaben durchzusetzen. Der Chevalier tat Clement insgeheim leid. Andererseits bekam er es nun selbst mit der Angst zu tun. Auch er befand sich letztendlich in den Händen dieses Aristokraten, ebenso wie seine nichtsahnende Schwester. Und er dachte, es ging dem Marquis wirklich nur um die reiche Mitgift und in seinem Falle um körperliche Anziehungskraft.
Julien dagegen schien völlig gefangen von seiner Besessenheit. Er blickte zu dem Bildnis über dem Kamin. „Ich werde dich finden, wo immer du dich und dein Geschöpf auch versteckst“, murmelte er dabei beschwörend.
Clement, der hinter ihm stand, spürte, wie ein Schauer dabei über seinen eigenen Rücken lief.
Der Marquis wandte sich abrupt wieder zu ihm um. „Es ist gut möglich, dass ich in den kommenden Wochen und Monaten recht selten zu Hause sein werde“, verkündete er ihm überraschend. „Bitte kümmere dich um alles und auch um deine Schwester. Aber ich bin sicher, sie wird mich nicht sonderlich vermissen. Bis zu unserer einvernehmlichen Trennung soll gut für sie gesorgt werden.“
Als er die Zweifel in Clements schönen Augen bemerkte, fügte er noch ergänzend hinzu: „Sei versichert, ich werde sie nie wieder anrühren, so verlockend ihr junges Blut auch sein mag.“
Dies war kein aus Güte gegebenes Versprechen. Der Marquis wollte einfach eine ähnliche Abhängigkeit von seiner Person verhindern, wie sie bei dem Bruder bereits bestand. Clements menschlicher Alterungsprozess war durch seine kontinuierliche Blutspende bereits stark verzögert. Eine solche Gnade gewährte ein Vampir nicht jedem Sterblichen! Daher wurde der Großteil seiner Opfer auch nur einmal gebissen, um eine Entdeckung seiner Rasse zu vermeiden. Dies galt jedoch nur, sofern er nicht bei der Auswahl des Opfers dessen Tod vorher bestimmte. Dies war ein essentieller Teil ihrer dunklen Schöpfergabe und ihres Fluches.
Der junge Devereaux bemerkte mit Bitterkeit, dass er in den Augen des Marquis wohl nicht mehr war als ein besser gestellter Bediensteter und in der Nacht das Objekt dessen Begierde! Seine Schwester und er wurden nur benutzt und für die unheiligen Zwecke des Marquis missbraucht!
Ein weiteres Mal aus dem Schloss seines Vaters zu fliehen, widerstrebte Marcel zutiefst, doch hier würde der Marquis als erstes nach ihnen suchen! Vorbei waren die Pläne für eine ruhige Zukunft, vielleicht war diese einem Vampir auch niemals bestimmt? Allein das Wort Zukunft musste geradezu lächerlich in den Ohren eines Unsterblichen klingen.
Die beiden besten Pferde, Domino und eine kräftige braune Stute, hatten sie für ihre Reise ausgewählt. Die übrigen Tiere und das Anwesen verblieben in der Obhut eines Verwalters. Monatelang waren die beiden Freunde danach durch das Land geirrt, auf der Suche nach Gauklern, Schaustellern, Bänkelsängern und fahrendem Volk aller Art, das ihnen vielleicht bei ihrer Suche behilflich sein könnte. Einige hatten sie gefunden, doch niemand konnte ihnen über die Untoten oder gar die Siegelringe mit der Lilie irgendetwas erzählen. Marcels Verzweiflung wuchs. In den Bibliotheken der großen Universitäten durchforstete er antike Bücher – jedoch ohne Erfolg. Der Frühling zog darüber ins Land. Spätestens jetzt würde der Marquis wissen, dass der Chevalier nicht auf sein Tauschgeschäft eingehen würde! Marcel versuchte, Silvio als den Schwächeren zu behüten, indem er immer in seiner Nähe blieb. Aber auf Dauer konnte es so nicht weitergehen!
Letztendlich gab es nur einen Menschen, der von der Existenz ihrer Rasse wusste und ihnen vielleicht weiterhelfen konnte: Townsend vom Geheimdienst Ihrer Majestät. Der pfiffige Brite schuldete Marcel eigentlich noch einen Gefallen! Aber wie sollte er ihn auftreiben? Er wusste ja nicht einmal, wo der Engländer sich aufhielt, geschweige denn, ob er überhaupt gerade in Frankreich weilte. Wo also sollte er seine Suche beginnen?
Nach reiflicher Überlegung fasste Marcel den Entschluss, nach Le Havre zu reisen, dort begann die dünne Grenze
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