Im Bann der Lilie (Complete Edition)
bewies, wie wenig dem Marquis die Sterblichen bedeuteten. War dieser schöne Dämon überhaupt zu Liebe fähig? Und wenn, wäre diese nicht so zerstörerisch wie der Biss seiner Fangzähne?
„Ich danke dir und werde dir einen Boten mit meiner Entscheidung senden.“
„Mir wäre lieber, du kämst persönlich.“
Der Chevalier verließ das Arbeitszimmer und eilte die Treppe hinunter, vorbei an den Gästen durch das Foyer und aus dem Haus des Marquis. Es schien ihm, als würde er dabei von dem triumphierenden Lachen des alten Vampirs verfolgt. Aber das konnte ebenso gut Einbildung sein. Die Musik war zu laut, um seine Gedanken darauf zu konzentrieren.
Draußen stand der Kutscher, immer noch wartend mit seinem Pferd. Er warf dem Bediensteten eine Kupfermünze zu, stieg in den Sattel und ritt davon durch die Nacht zurück nach Châtellerault. In Gedanken ging er alle Möglichkeiten durch, um Silvio vor dem Zugriff des eifersüchtigen Adeligen zu bewahren. Es war ihm bewusst, dass ihr zuletzt geführtes Gespräch nichts weiter als ein Ultimatum gewesen war.
Lucia, die alte Zigeunerin fiel ihm ein. Sie musste längst tot sein. Ebenso wie ihre Tochter Graziella, mit der ihn am Anfang seines untoten Daseins eine kurze Affäre verbunden hatte. Das war das Ärgerliche an den Menschen. Ihre Lebenszeit war so schrecklich kurz! Zumindest keimte so etwas wie Hoffnung in ihm auf, während sein Pferd ihn des Nachts immer näher an sein Ziel trug. Vielleicht würde das fahrende Volk ihm helfen können? Dort kannte man unzählige Geheimnisse von Leben und Tod. Geheimnisse, die nur vom Vater auf den Sohn, von der Mutter auf die Tochter oder vom Lehrer auf den Schüler in mündlicher Überlieferung weiter gegeben wurden. Er musste mit Silvio jemanden von diesen alten Sippen finden und es blieben nur noch wenige Wochen, bis der Marquis auf eine Entscheidung pochen würde!
Zuhause auf seinem Landsitz angekommen, fiel ihm Silvio erleichtert um den Hals, doch er hatte keine Zeit für Zärtlichkeiten.
„Du bist in Gefahr, mon ami, einer Gefahr, vor der ich dich kaum werde schützen können.“
Silvio erstarrte in Marcels Armen und löste sich entsetzt. „Was ist geschehen?“
In knappen Sätzen informierte der Chevalier seinen Gefährten, während er sich der Reisekleidung entledigte.
„Für eine kurze Zeit werde ich dich vielleicht bei den Briten verbergen können. In England wird er dich nicht vermuten, während ich nach einer Lösung für unser Problem suche. Vielleicht kann ich das Rezept für deine Rettung auch woanders auftreiben“, schlug Marcel vor und schlüpfte in eines der bequemen, weiten Hemden.
„Ich werde weder fliehen noch mich verstecken“, war die eher störrische Antwort.
Marcel packte Silvio an den Schultern. „Versteh doch, der Marquis wird dich als Druckmittel benutzen, um zu bekommen, was er schon immer wollte. Er ist besessen von mir. Nicht umsonst hat er nach all den Jahrhunderten noch mein Bildnis in seinem Besitz. Und er wird niemals aufgeben!“
Silvios dunkelblaue Augen sahen ihn an mit der Reinheit eines Knaben und voller Vertrauen. Er verließ sich auf ihn als seinen Erschaffer. „Ich flehe dich an: Tu, was ich sage!“, bat Marcel nochmals inständig, aber der zierliche junge Vampir schüttelte bestimmt den Kopf.
„Niemals. Ich werde nicht in ein fremdes Land gehen und wieder von dir getrennt werden. Dir verdanke ich dieses Dasein und du bist der Einzige, dem ich vertraue. Lass uns gemeinsam auf die Suche gehen!“
Marcel seufzte ergeben. Im Grunde hatte Silvio ja recht. Er, als sein Erschaffter, war für ihn verantwortlich! Immer noch lagen seine Hände auf den Schultern des Gefährten, jetzt aber schlang er seine Arme um ihn und presste ihn stumm an sich. Wenn er nur wüsste, wohin sie ihre Odyssee führen würde. Wenn er den Marquis bis zum Frühjahr ohne Antwort ließ, würde dieser eine unerbittliche Jagd auf sie beginnen, davon war er überzeugt. Er kannte Julien de Montespan und hatte hinter den Spiegel seiner Augen geschaut!
Im März 1801 fand die Hochzeit im engsten Kreise im Hause des Marquis de Montespan statt. Es war bereits Abend und Julien hörte die Worte des Priesters an sich vorüberfließen. Sie waren bedeutungslos. Dieses menschliche Ritual erschien ihm so lächerlich, zumal in seinem Falle eine Scheidung bereits vorprogrammiert war. Marcel hatte sich seit jenem Abend im Dezember des Vorjahres nicht wieder gemeldet! Während seine hübsche, festlich geschmückte
Weitere Kostenlose Bücher