Im Bann der Lilie (Complete Edition)
Reinheit und Unsterblichkeit. Ich selbst bekam dieses Siegel von meinem Erschaffer, und auch Ihr werdet einen Ring von mir erhalten. Er wartet schon auf Euch nach unserer Rückkehr. Haltet ihn in Ehren.“
„Aber was bedeutet das? Warum habt Ihr mich gebrandmarkt?“
„Ich gebe zu, für unsereins ist dieses Symbol Mahnung und Erlösung zugleich. Das Zeichen unserer Verdammnis und unserer Unsterblichkeit. Jedes Mal, wenn Ihr Euren Durst stillt, wird der Ring an Eurem Finger erglühen, und wenn Ihr wirklich die Notwendigkeit seht, eine Seele in die Dunkelheit zu ziehen, dann dreht ihn herum und drückt ihn in das Fleisch des Sterbenden, bevor dieser den letzten Atemzug macht. Er wird die Vergänglichkeit hinter sich lassen und Euch in unsere Welt folgen. Ich gebe zu, dies wäre niemals zu diesem Zeitpunkt geschehen, wenn Eure Halbschwester Euch nicht auf dem Ball getäuscht hätte, um Euch auf heimtückische Weise zu töten. Ihr ward dem Gift einer ägyptischen Kobra ausgesetzt wie einst Kleopatra.“
„Meine Schwester wollte mich ermorden und das nur, weil sie mich hasst und meine Existenz nicht ertragen kann?“, wiederholte der junge Saint-Jacques ungläubig.
„Und Ihr habt mich zurückgeholt und gleichzeitig verdammt.“
Seine Stimme klang ausdruckslos.
Das markante Gesicht des Marquis blickte besorgt. Fürchtete der Junge ihn jetzt?
„Es ist nicht so schlimm, wie Ihr denkt“, versuchte er, Marcel zu besänftigen. „Ihr müsst nicht töten! Seht, im Schloss gibt es über hundert Diener und genügend Vieh. Auch das Dorf ist in unmittelbarer Nähe. Nehmt nur ein wenig von allen und Euer Hunger ist für gut eine Woche gestillt. Ihr habt die Macht, den menschlichen Willen zu beeinflussen und sogar die Erinnerung an Eure Anwesenheit aus ihren Gedanken zu löschen. Wenn Ihr all dies ablehnen solltet, so mögt Ihr auch das Blut von Tieren zu Euch nehmen. Es ist nahrhaft, hält jedoch nicht sehr lange vor!“
Marcels Augen weiteten sich.
„Ich habe Euch in der Vergangenheit niemals bei einer solchen Tat beobachtet“, wandte er ein.
Julien fühlte sich geschmeichelt.
„Wohlan, ich schleiche mich nachts unbemerkt durch die geheimen Gänge in ihre Zimmer und in ihre Träume. Dabei achte ich darauf, niemals meine Spuren an einer sichtbaren Stelle ihres Körpers zu hinterlassen. Die Wunde ist so klein, dass man sie für einen Rattenbiss hält und verhielt binnen weniger Tage. Das eine oder andere Dienstmädchen würde sich mir auch freiwillig hingeben, allerdings nehme ich niemals Nahrung mit ins Bett.“
Bei dieser Vorstellung musste Marcel unwillkürlich grinsen.
„Danach lösche ich die Erinnerungen aus. Gute Nahrung macht den Blutverlust rasch vergessen. Wenn jemand fünf Jahre in meinen Diensten war, wird er reich entlohnt entlassen, und ich stelle neues Personal ein. Das ist das ganze Geheimnis. Und im Übrigen: Wir sind keine Ungeheuer. Viele Menschen schätzen unsere elitären Eigenschaften.“
Bei diesem letzten Satz musste Marcel an das belauschte Gespräch mit Madame de Montespan denken. Aber nicht nur das kam ihm in den Sinn. Die Vorstellung, Pascals Blut zu trinken, gefiel ihm nicht. Der kleine Bretone war für ihn zu einem geschätzten Begleiter geworden, und er beschloss, ihm keinerlei Leid zuzufügen.
„Was ist mit dem Sonnenlicht?“, fragte er nach.
„Tageslicht schmerzt uns, kann uns sogar blenden, aber es tötet uns nicht. Viele Dinge sind aus Dummheit falsch überliefert worden oder wurden ganz bewusst falsch von den Vertretern der Kirche in Umlauf gebracht. Sorgt Euch also nicht, ich werde Euch mit allen Vorsichtsmaßregeln vertraut machen. Silber, zum Beispiel, kann uns fesseln. Hütet Euch nur vor zu hohem Blutverlust, alles andere können wir überwinden. Und natürlich solltet Ihr auch Euren Kopf nicht verlieren!“
Die letzten Worte waren wohl eher sarkastisch gemeint. So schlecht hörte sich das gar nicht an! „Wie ist das mit dem Pfählen? Ist das auch nur eine Legende?“
Julien seufzte ergeben.
„Leider nicht! Diese Überlieferung entspricht der Wahrheit. Ein Degenstoß in Euer Herz ist genauso tödlich für Euch wie für einen Menschen. Hütet Euch also vor Duellen.“
Diese Tatsache gefiel Marcel weit weniger. Eine weitere Frage brannte ihm auf der Zunge.
„Hättet Ihr mich eigentlich auch gewandelt, wenn Elise nicht dieses Attentat auf dem Maskenball verübt hätte?“
Julien kniff den Mund zusammen. Ja, er hätte es getan, doch sehr viel behutsamer. Die
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