Im Bann der Träume
zwischen ihnen.
Der Speer … Er war doch zersplittert, und die Splitter hatten in der Luft einen schaurigen Tanz vollführt. Und die Warlockianerinnen waren entsetzlich wütend gewesen …
Mit einem Ruck saß Charis aufrecht. Lantee krümmte sich noch unter der Kraft der Wyvern, aber sie war zu einem Abschnitt ihres vergangenen Lebens zurückgekehrt. Warum? Weshalb hatte sich der Zorn der Wyvern auf Lantee geworfen? Sie hatte doch Gytha gerufen; sie war zu unbedacht gewesen.
Ihre Hände suchten nach der Scheibe in ihrer Gürteltasche. Sie war weg; sie hatte doch noch in ihrer Hand gelegen, als sie Gytha rief? Hatte man sie ihr weggenommen?
Das konnte bedeuten, daß die Wyvern sie nicht mehr als Freundin oder Verbündete betrachteten. Was hatte der zerbrochene Speer zu bedeuten? Und ohne die Scheibe war Charis eine Gefangene in diesem Raum. Aber sie mußte festzustellen versuchen, welche Fesseln man ihr angelegt hatte, was sie von der Freiheit trennte. Konnte sie es entdecken? Konnte sie sich bewegen, wenn es den Wyvern nicht paßte?
»Tsstu?« Charis flüsterte diesen Ruf nur. Sie wußte nicht, wie weit die kleine Lockenkatze von den Wyvern unabhängig war, aber sie vertraute ihrem kleinen, pelzigen Gefährten mehr als sie selbst geglaubt hatte.
Aus dem Schatten unter dem Fenster antwortete ihr ein schwacher Laut. Dort lag Tsstu und schlief zu einer Kugel zusammengerollt, und die Ohren lagen dicht an ihrem Kopf. Charis bückte sich und strich ihr sanft über das Fell.
»Tsstu!« flüsterte sie. War die Lockenkatze in Träumen gefangen, aus denen sie nicht zu erwecken war? Doch die Ohren bewegten sich, und die Augen öffneten sich zu schmalen Schlitzen. Dann gähnte Tsstu herzhaft, und ihre gelbe Zunge rollte sich spielerisch ein. Dann hob sie das Köpfchen und sah Charis an.
Würde es ihr gelingen, sich ohne die Scheibe mit einem Wesen in Verbindung zu setzen und mehr als vage Eindrücke zu erzielen? Charis versuchte es; sie hielt Tsstu so weit von sich, daß sie deren schmale Fuchsaugen festhalten konnte. War Tsstu so eng mit den Wyvern verbunden, daß sie eher ihnen als ihr dienen würde?
Hier heraus, weg von hier, dachte Charis.
»Rrrruuu.« Das war Zustimmung. Tsstu entwand sich Charis’ Griff, wollte ihre Freiheit haben. Auf Samtpfoten tappte sie zur Tür und drückte sich flach auf den Boden, als sei sie auf der Jagd. Dann sah sie in den Korridor hinaus, hob das Köpfchen und stellte die Ohren auf. Jeder Sinn des Tieres analysierte, forschte. Dann sah sich Tsstu um und rief das Mädchen.
Charis wußte nicht, ob der Korridor in die Freiheit führte oder nicht; an ihm lagen mehrere Räume ähnlich dem ihren und ein Versammlungsraum. Sie konnte nur hoffen, daß sie ungesehen daran vorbei kam und auf Tsstu vertrauen.
Auch ohne die Scheibe fühlte sie die Anwesenheit der Wyvern. Zweimal war sich Charis dessen sicher, daß sie ausgesandte Gedanken gestreift hatte, nicht so, daß sie zu lesen waren, aber sie wußte, daß sie existierten.
Tsstu schien den Weg genau zu kennen. Lautlos trippelte sie weiter, bog ohne Zögern ab, wo ein anderer Gang den Korridor kreuzte. Charis kannte diesen Teil der Zitadelle nicht. Sie war nun in einem Trakt, wo das Licht trüber, die Wand rauher, der Korridor schmäler war. Dann erkannte sie nur noch einige Lichtflecken an den Wänden; sofort erkannte Charis, daß sie ein Muster bildeten, das den Kreisen und Verschlingungen der Linien auf ihrer Scheibe ähnlich war. Sie fand darunter die gleichen Symbole der Wyvernkraft, die sie auch ihr mit der Scheibe verliehen hatten.
Aber diese Symbole waren nicht so klar wie auf ihrer Scheibe. Größer, gröber. Würden sie ihr die Tore zur Freiheit öffnen können?
Unbeirrt lief Tsstu weiter. Die Temperatur des Korridors änderte sich; es wurde viel heißer. Charis’ Kehle war trocken, und sie mußte husten. Wo befanden sie sich nun?
Etwas warnte sie. Trotzdem folgte sie mit den Augen diesen Zeichen, bis sie blind wurde für alles um sie herum, bis sie nur noch diese Zeichen sah und mit einem Angstschrei stehenblieb.
»Tsstu!« Ein weicher Pelz umschmeichelte ihre Fesseln, strich glättend über den Aufruhr ihrer Angst. Das Tierchen schien völlig ruhig zu sein, von diesen Wirbeln, Kreisen und Linien nichts zu wissen. Angst … panische Angst …
»Meerreee!« Sie fühlte, sie hörte die Katze, aber sie konnte sie nicht sehen. Sie sah nichts, nur diese Symbole …
»Zurück!« Das Wort war nur ein heiseres Flüstern. Nur
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