Im Bann der Wasserfee
Schläfe und ihre Wange herab bis zu ihrem Mund. Dahut erbebte. Langsam umkreiste er ihre Lippen mit der Zungenspitze, bevor er Einlass forderte.
Dahut entwand sich seinen Armen. »Ich habe dich mit Aouregwenn gesehen. Du hast sie geküsst und jetzt versuchst du es bei mir. Du bist ein Schuft!«
Er sah sie verdutzt an. »Sie hat sich mir aufgedrängt.«
Dahut erstarrte. Genau das hatte Jacut damals auch über sie gesagt, nachdem sie die Liebschaft mit ihm aufgrund seiner Untreue beendet hatte. »Das sagen alle Männer!«
»Dahut, ich ...«
»Sag jetzt nichts mehr! Und wage es ja nicht, mir zu folgen!« Dahut rannte davon.
Ragnar wusste, dass es im Moment zwecklos war, mit ihr zu reden. Er suchte den Weg ab, den Dahut gegangen war, fand jedoch keine Spur von einer Schlange. Dennoch hatte er das Gefühl, beobachtet zu werden. Irgendetwas in dieser Stadt ging nicht mit rechten Dingen zu. Er vermutete, dass Niamhs Verschwinden damit zu tun hatte.
Dahut wollte keine Ausflüchte oder falsche Versprechungen von Ragnar, wie Jacut sie ihr damals gegeben hatte. Es war schlimm genug, dass ihr Leib so extrem auf Ragnar reagierte. Allein die sachte Berührung seiner Lippen brachte sie zum Erbeben und verursachte ein Ziehen in ihrem Herzen und ein sehnsuchtsvolles Prickeln in den Tiefen ihres Schoßes.
Dahut nahm ihren ursprünglichen Plan wieder auf und lief zu einem Teil der Stadtmauer, der ihr am nahesten lag. Wenn sie jetzt nicht weiterging, würde sie eine Angst vor der Dunkelheit entwickeln, die womöglich nicht mehr wich.
So etwas durfte ihr nicht noch einmal passieren. Weder eine Schlange noch Jacut würden sie ein weiteres Mal überrumpeln. Auch sänke sie niemals wieder in die Arme eines Mannes, der erst Minuten zuvor eine andere geküsst hatte. Dafür hatte sie zu viel Selbstachtung.
Dahut trat zur Stadtmauer, um sie abzutasten. Sie war bewachsen von Moosen und Farnen. Hier wurde sie offenbar weniger gepflegt, doch stabil war sie noch. Wie war Niamh aus der Stadt gelangt?
Am Abend vor ihrem Verschwinden hatte jemand Niamh an einem der Brunnen beim Wasserschöpfen gesehen. Ihren Termin bei einer Patientin am nächsten Morgen hatte sie nicht wahrgenommen. So lag nahe, dass sie über Nacht verschwunden war. Nachts jedoch waren die Tore von Ys verschlossen. Zudem hätte sie einer der Wächter gesehen, wäre sie dort hinausgegangen. Sie musste also auf einem anderen Weg verschwunden sein.
Gab es einen Geheimgang oder war an einer Stelle der Pflanzenbewuchs stark genug, um daran hochzuklettern? Diese musste irgendwo sein, wo man sie nicht gleich bemerkte. Nicht alle Orte patrouillierte die Stadtwache gleichermaßen.
Womöglich hatte Niamhs Entführer eine Leiter benutzt, doch davon hätte Dahut vermutlich erfahren, denn diese wäre zurückgeblieben. Denkbar wäre auch, dass jemand von der anderen Seite aus geholfen hatte. Ein Seil gehalten oder etwas in der Art. Oder sie hatten eine Strickleiter gehabt, die sie hochgezogen und mitgenommen hatten. Doch diese musste man erstmal hochbekommen und befestigen. Dahut bezweifelte, dass die Flucht gelungen war, ohne Spuren zu hinterlassen.
»Da ist sie!«, erklang eine ihr unbekannte Männerstimme. Jemand ergriff Dahut von hinten. Sie wehrte sich verzweifelt. Sie strampelte und schlug um sich, doch die Männer waren stärker und schleppten sie mit sich.
Erst am nächsten Morgen führte man Dahut zu König Gradlon. Die ganze Nacht hatte man sie in ihrem Zimmer eingesperrt und Wachen unter ihrem Balkon postiert.
Gradlon stand in seinem Empfangsraum mit dem Rücken zu ihr, als sie eintrat. Unweit von ihm befand sich Sanctus Corentinus, der bei den meisten Besprechungen des Königs zugegen war.
»Vater?«
Gradlon wandte sich zu ihr um. »Es gefällt mir gar nicht, was man über dich hört. Vergangene Nacht haben sich zwei Männer um dich geprügelt.«
»Wie bitte?« Dahut starrte ihn entgeistert an.
»Rhain Bedwyn hat Jacut Herve niedergeschlagen. Eine Frau hat euch beide gesehen.«
»So war das nicht. Ich lief durch die Allee, da sah ich diese Schlange. In Panik rannte ich in Jacut Herves Arme, der mich offenbar mit einer anderen Blonden verwechselte, woraufhin Rhain Bedwyn ihn niederschlug.«
Gradlon kratzte sich am Nacken. »Dein Ruf ist in Gefahr. Noch wissen nur meine Wachen, Rhain Bedwyn und Jacut Herve darüber Bescheid.« Er sah müde aus, als er ihr den Blick zuwandte. »Warum treibst du dich nachts draußen herum? Und wie bist du
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