Im Bann der Wüste
richtete sich überraschend fest auf Kalam. »Und darum werden wir sie in der Morgendämmerung überraschen. Angriff! Klar zur Wende! Seesoldaten, macht euch bereit, das feindliche Schiff zu entern! Ich werde an Bord der Lumpenpfropf keine Beschwerden mehr dulden. Nicht eine einzige, verdammt noch mal. Wenn ich das nächste Mal Gemecker höre, verliert der Meckerer einen Finger. Meckert er nochmal, verliert er noch einen. Und so weiter. Und jeder Finger wird aufs Deck genagelt. Klopf, klopf!«
Kalam schloss die Augen. Sie waren jetzt vier Tage ohne Begleitung gesegelt; die Handelswinde hatten sie mit gleichmäßigen sechs Knoten vorangetrieben. Die Matrosen hatten jeden Fetzen Leinwand gesetzt, der sich an Bord befand, und das Schiff knirschte und ächzte beständig, doch die beiden Piratenschiffe konnten die Lumpenpfropf immer noch umkreisen.
Und jetzt will dieser Wahnsinnige sie angreifen.
»Habt Ihr gerade etwas von einem Angriff gesagt?«, flüsterte der Schatzmeister, die Augen weit aufgerissen. »Das verbiete ich!«
Der Kapitän blinzelte den Mann eulenhaft an. »Aber mein Herr«, sagte der Kapitän mit ruhiger Stimme, »ich habe in meinen Blechspiegel gesehen. Er hat seinen Glanz verloren, mein Wort darauf, das hat er. Von gestern auf heute. Ich habe vor, das zu meinem Vorteil zu nutzen.«
Seit die Reise begonnen hatte, war Kalam die meiste Zeit in seiner Kabine geblieben; er hatte es vorgezogen, nur an Deck zu gehen, wenn es an Bord ganz ruhig war – kurz vor Ende der letzten Wache vor der Morgendämmerung. Außerdem hatte er in der Kombüse mit der Mannschaft gegessen und es dadurch vermieden, allzu häufig mit Salk Elan oder dem Schatzmeister zusammenzutreffen. An diesem Abend hatte der Kapitän jedoch darauf bestanden, dass er mit ihnen zu Abend essen sollte. Da der Assassine neugierig war, was der Kapitän wegen der Piraten zu unternehmen gedachte, die um die Mittagszeit aufgetaucht waren, hatte er zugestimmt.
Es war ganz klar, dass Salk Elan und der Schatzmeister eine Art von Burgfrieden geschlossen hatten, da sie sich darauf beschränkten, gelegentlich süffisante Seitenhiebe auszutauschen. Wie viel Anstrengung sie diese Art der Selbstkontrolle letztlich kostete, machte das übertriebene Getue deutlich, mit dem sie sich um zivilisierte Gespräche bemühten.
Doch das eigentliche Geheimnis an Bord der Lumpenpfropf war ihr Kapitän. Kalam hatte genug Gespräche mit angehört – in der Kombüse oder zwischen dem Ersten und dem Zweiten Offizier –, um beurteilen zu können, dass dem Mann sowohl Respekt wie auch eine Art verschrobene Zuneigung entgegengebracht wurde. So ähnlich, wie man mit einem reizbaren Hund umgeht. Tätschele ihn einmal, und er wedelt mit dem Schwanz, tätschele ihn ein zweites Mal, und du bist deine Hand los. Der Mann wechselte munter aufs Geratewohl die Rollen und kümmerte sich nicht um Schicklichkeit. Er bewies einen Sinn für Humor, der jedes Begriffsvermögen auf eine harte Probe stellte. Wenn der Assassine sich zu lange in der Gesellschaft des Kapitäns befand – vor allem, wenn es Wein zu trinken gab –, schmerzte ihm der Kopf von der Anstrengung, den verschlungenen Gedankengängen des Mannes zu folgen. Und was noch schlimmer war, Kalam spürte eine kühle Absicht, eine Art roten Faden in dem wirren Gewebe, als würde der Kapitän zwei Sprachen auf einmal sprechen, die eine derb und eigenwillig, die andere seidig und voller Geheimnisse. Ich könnte schwören, der Bastard versucht, mir etwas zu sagen. Etwas Lebenswichtiges. Er hatte von einer bestimmten Art von Zauberei gehört, aus einem der weniger bekannten Gewirre, die einen Bann über den Verstand eines Menschen legen konnte, eine Art mentalen Block, den das Opfer – sich dessen qualvoll bewusst – umkreisen, jedoch niemals durchdringen konnte. Ah, jetzt wage ich mich in den Bereich des Absurden. Paranoia ist die Bettgefährtin des Assassinen, und im Nest dieser zischelnden Schlange gibt es keine Ruhe. Ich wünschte, ich könnte mit dem Schnellen Ben sprechen -
»Schlaft Ihr mit offenen Augen, Mann?«
Kalam zuckte zusammen, starrte den Kapitän stirnrunzelnd an.
»Der Herr dieses prächtigen Segelschiffs hat gerade gesagt«, säuselte Salk Elan, »dass die Tage auf merkwürdige Art und Weise verstrichen sind, seit wir die offene See erreicht haben. Und er hat das als Frage formuliert, weil er Eure Meinung hören wollte.«
»Es ist vier Tage her, dass wir Aren verlassen haben«, sagte der Assassine
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