Im Bann des Adlers
ihm war. Als er den Kopf drehte, sah Hernandez gerade noch einen großen dunkelhaarigen Mann mit blitzenden grauen Augen. Er blickte ihm für eine Sekunde geradewegs ins Gesicht und huschte dann ins Haus. Ob der Beschützer mitbekommen hatte, was hinter ihm geschah, konnte Hillarys Bruder nicht deuten. Jedenfalls sollte er schleunigst zusehen, von hier zu verschwinden. Hier war etwas faul. Er trat aufs Gas wendete und gerade als er fahren wollte, sah er an einem Fenster ein Gesicht. Heiß durchzuckte es ihn. Er hätte schwören können, dass es Jessica war, auch wenn sie nur einen Sekundenbruchteil zu sehen war. Am liebsten wäre er ausgestiegen und in das Haus gestürmt, doch seine Vernunft sagte ihm, dass dies viel zu gefährlich sei.
Also beschleunigte er und fuhr den Kies hinter sich aufschleudernd davon. Er wollte seine Erkenntnis schnellstens an die Polizei weitergeben.
Kapitel 36
Jessica
Das Haus wirkte wegen der Ausgangssperre wie ein Bienenstock. Überall sah ich Gruppen von Frauen und Männern zusammenstehen oder sitzen. Aus den Zimmern drangen Gesang und Gelächter. Man konnte fast glauben die Menschen fühlten sich hier wohl und lebten einfach nur in einer Art Wohngemeinschaft. „Jessica du weißt ganz genau, dass der Schein trügt.“ Sagte meine innere Stimme mir.
So viele Mitglieder des Ordens hatte ich noch nie auf einmal gesehen und ich ergriff die einmalige Gelegenheit und versuchte mit einigen von Ihnen ins Gespräch zu kommen. Wie sich jedoch bald herausstellte, kein ganz so leichtes Unterfangen. Die Meisten begegneten mir mit Ehrfurcht und nannten mich tatsächlich >Meine Gebieterin<, wenn ich sie ansprach. Letztendlich musste ich feststellen, dass zwar jeder bereit war, mit mir zu plaudern, aber das war es dann auch schon. Ein ernsthaftes Gespräch schien nicht möglich. Sobald irgendein Wort über die Lebensweise des Ordens fiel, oder wo genau wir uns befanden, machten alle dicht. Etwas verloren inmitten all der unbekannten Menschen, überlegte ich, was ich tun sollte. Einige Zeit stand ich noch im Flur an den Fenstern denn allein in meinem Zimmer war es auch nicht besser. Gedankenverloren schweiften meine Augen über die vor den Fenstern liegenden Felder, und da erhaschte ich gerade noch einen Blick auf einen davon fahrenden Kleinlastwagen. Er fuhr jedoch so schnell, dass ich nicht ausmachen konnte, was es für ein
Modell war oder welche Aufschrift an der Seite stand. „Also verirrt sich ja doch ab und an einmal jemand hierher. Ob das der Grund ist, weshalb wir heute nicht raus durften?“ Schoss es mir durch den Kopf.
Ich beschloss, doch noch einen Vorstoß zu wagen und mich unter die Menge zu mischen. Vielleicht fand ich Victor doch noch. Schließlich hatten wir ja so etwas wie ein Date. Es war nicht einfach, sich in dem großen Haus zurechtzufinden. Im hinteren Teil befanden sich die Treppen und die Zimmer der Mitglieder. Unten in der quadratischen düsteren Vorhalle, gingen ebenfalls noch einmal etliche Türen in die unterschiedlichsten Räume ab. Teilweise waren diese jedoch abgeschlossen und ich hatte keine Chance sie zu erkunden. Den Speisesaal und den angrenzenden verborgenen Raum kannte ich ja schon. Es war mir kein Bedürfnis noch einmal dorthin zu gehen.
Direkt neben dem Speisesaal kam man in die Küche. Dorthin zog es mich nun. Wenn es schon sonst nichts zu sehen oder zu tun gab, konnte ich dort vielleicht aushelfen oder in die Töpfe schauen. Eines musste man ihnen lassen, dass Essen war wirklich gut. In der Küche angekommen, traf ich auf zwei Mädchen die gerade Kartoffeln schälten und Gemüse schnitten. „Hallo, darf ich euch vielleicht helfen?“ betrat ich fragend den Raum. „Aber nein Gebieterin! Küchenarbeit ist nicht deine Aufgabe!“
Rief eine der Beiden ganz entsetzt. „Das mag ja sein, aber ich tue es wirklich gerne und ich kann von mir behaupten, eine ganz passable Köchin zu sein.“ Antwortete ich hoffnungsvoll. „Nein, nein. Du kannst hier nicht helfen. Der Vater würde uns bitter bestrafen. Bitte, lass uns die Arbeit alleine machen!“ Flehte mich die jüngere an. „Also gut, gibt es denn gar nichts, was ich euch abnehmen kann?“ Eine Weile herrschte Schweigen. „Doch, natürlich du kannst uns aus dem Vorratskeller für heute Abend die Kerzen holen und weihen. Es wäre uns eine Ehre.“ Erstaunt zog ich die Augenbrauen hoch. „Weihen, wie denn?“
Die Zwei kicherten über meine Unwissenheit. „Jede Kerze erhält einen Tropfen von deinem Blut.
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