Im Bann des Fluchträgers
Augenpaar, das im Mondlicht aufblinkte. Ab und zu glaubte er die Stimmen von Ladro und Mel Amie zu hören, die nach ihm riefen, doch die Geräusche verloren sich im Wald. Nach einer Weile ließ er das Pferd langsamer gehen und suchte das Unterholz ab. Er rief Aminas Namen, bis er heiser war und der Morgen zu grauen begann. Schließlich entdeckte er Spuren im feuchten Gras. Die Hoffnung gaukelte ihm vor, dass er sie in wenigen Augenblicken finden würde. Also sprang er wieder auf das erschöpfte Pferd und zwang es zu einem Galopp.
Die Berührung an seiner Brust spürte er erst, als das Horjun-Pferd unter ihm strauchelte und mit einem Quieken zu Boden ging. Ein grausamer Ruck fuhr durch seinen Körper und schnitt ihm die Luft ab. Das Pferd wälzte sich über sein Bein, sodass er vor Schmerz keuchte, dann waren schon harte Hände da, die ihn griffen, ihn hochrissen und seinen Kopf so weit nach hinten bogen, dass er nur die Baumwipfel sah, die inmitten des grellroten Schmerzes in seiner Brust zu lodern schienen.
»Es ist einer von ihnen!«, dröhnte eine Stimme direkt neben seinem Ohr. »Schaut euch das Pferd an.«
»Er sieht aber nicht so aus.« Eine andere Stimme, diesmal rechts von ihm.
»Einer von den Waldmenschen hier ist er auch nicht. Sieh dir die bunten Fetzen an, die er trägt.«
Ravin war es gelungen, den Kopf ein wenig zu drehen. In seinem Blickfeld erschienen ein Arm und ein Teil einer bärtigen Wange. Sie war von ihm abgewandt. Ravin nutzte die Gelegenheit, spannte sich, sprang hoch, was ihm beinahe den Arm auskugelt hätte, und versetzte dem Bärtigen einen Tritt gegen die Brust. Er spürte, wie sich der Griff in seinem Haar lockerte, und riss sich mit einer Drehung los. Schon wollte er sich aufrappeln und fliehen, da zerbarst sein Blickfeld in Splitter, die an ihm vorbei ins Nichts flogen. Was blieb, war Dunkelheit.
S
eine Augen schienen wie mit Steinen beschwert. Sie zu öffnen schmerzte. Das Erste, was er sah, als er sich an das grelle Licht gewöhnt hatte, waren rote Pferde. Dieser Anblick erinnerte ihn an etwas, das er vor sehr langer Zeit gesehen hatte. Nach und nach dämmerte ihm, dass er auf einer sehr weichen Unterlage lag. Weicher als die Algenmatten in Ujas Unterkunft in Dantar. Noch einmal öffnete er die Augen. Diesmal sah er Laios’ besorgtes Gesicht. Kantiger erschienen seine Züge, eingefallener und viel älter, als er sie in Erinnerung hatte.
»Trink, dann hört dein Kopf auf zu schmerzen«, sagte Laios.
Heißes, bitteres Wasser rann über Ravins Lippen. Er trank es und glitt in einen neuen Traum:
Jolons Platz am Feuer war leer. Die Dämonen heulten ihre Wut hinaus. Einer von ihnen hob den Traumreif der Königin, den vor kurzem noch Jolon getragen hatte, vom Boden auf. Ravin sprang auf die Beine und sah sich um. Neben ihm wuchsen die Mauern der Regenbogenburg aus dem Boden. Grau waren sie, spiegelten den Himmel, der von schwarzgrauem Rauch bedeckt war. Fratzen schälten sich aus dem glatten Stein. Und nun erschien auch Jolon. Er sah Ravin nicht an, sondern blickte in das Gesicht der schwarzen Gestalt, der Ravin schon so oft im Traum begegnet war. Tiefer und tiefer beugte sie sich über Jolon um ihm das Leben auszusaugen. Ravin war wie gelähmt. Völler Verzweiflung sah er, wie Jolons Hand sich um den Kristall krampfte.
Er riss die Augen auf, schnappte nach Luft – und sah immer noch Laios’ Gesicht. Die Gedanken schwirrten in seinem Kopf umher und wollten sich nicht zu einem Bild formen. Träumte er noch?
»Jolon?«, fragte er.
»Dein Bruder lebt. Wir haben ihn und dein Lager zu einem Platz nicht weit von den Südbergen gebracht. Du wirst dorthin reiten, sobald du mit der Königin und den Räten gesprochen hast.«
»Ich bin in der Burg?«, flüsterte er.
Auf Laios’ Gesicht erschien ein dünnes Lächeln.
»Ja, auf Umwegen
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