Im Bann des Fluchträgers
bemerkte er, dass sie den Mond anblickte. Ihr Gesicht war dunkel und ausdruckslos, sie verbarg ihre Hände und sprach kein Wort.
»Morgen werden wir die Regenbogenburg erreichen«, sagte Ravin. »Wir bringen Amina sofort zu Laios. Wenn jemand helfen kann, dann er.«
Ladro seufzte und vergrub den Kopf in den Händen.
Amina sah kaum auf, als Ravin mit einer halben Jalafrucht zu ihr kam und sich neben sie setzte.
»Hier, iss«, sagte er und reichte ihr die Frucht. Doch sie schüttelte den Kopf. In ihren Augen tanzte ein dunkler Halbmond, so als hätte sich das Bild am Himmel in ihre Augen gebrannt, die nicht mehr Aminas Augen waren. Sie bemerkte, wie er sie ansah, und senkte den Blick. Der schwarze Schatten ließ ihre Nase scharf wie eine Messerschneide aussehen.
»Ich brauche nur Schlaf, Ravin«, sagte sie. Ihre Stimme klang dumpf und monoton. Er hatte Schwierigkeiten, Aminas Stimme herauszuhören.
»Morgen sind wir in der Burg.« Seine Stimme bebte.
Stumm nickte sie, dann hob sie eine Hand, die vor dem dunklen Himmel schwarz und hart aussah. Ravin glaubte die drei Monde auf ihrer Handfläche zu erkennen, doch er wusste, es konnte nur eine Täuschung sein, und beschloss, dass die Müdigkeit und das Mondlicht ihm einen Streich spielten. Die Erschöpfung umfing ihn mit schweren Armen aus Samt. »Gib Jolon nicht auf!«, flüsterte die dumpfe Stimme neben ihm. Im Traum fühlte er die Berührung einer glühenden Hand an seiner Wange. Naja lächelte ihm zu, dann glitt er in das Dunkel.
Als sie erwachten, saßen sie Rücken an Rücken, den Kopf an die Schulter des Nachbarn gelehnt. Die Pferde grasten auf der mondhellen Lichtung. Die Wolkenschleier hatten sich verzogen. Weiß und gefroren stand der Halbmond am Himmel. Amina war fort.
S
ie musste gehen«, sagte Ladro. Seit geraumer Zeit redete er auf Ravin ein. Mel Amie hatte sich zu den Pferden gesellt, vermutlich wollte sie nicht, dass jemand sah, wie sie weinte.
»Sie wollte uns verlassen«, bestätigte Darian Ladros Worte. »Nicht einmal ich habe bemerkt, wie der Schlafzauber kam, so behutsam hat sie ihn gesprochen.«
»Amina wusste, dass sie uns bald nicht mehr vor sich selbst würde schützen können.«
»Es sind nur noch wenige Stunden bis zur Burg!«, schrie Ravin. »Ich muss sie finden. Laios wird ihr helfen!«
»Ravin!« Er spürte Ladros Griff an seinem Arm, sah in das geduldige, ernste Gesicht. Ladro gab auf! Wut übermannte Ravin, er wich zurück. Ladros Griff verstärkte sich. Ehe er sichs versah, hatte Ravin den Arm hochgerissen und schlug Ladro mit voller Kraft ins Gesicht.
»He!«, brüllte Mel Amie. Ladro taumelte zurück.
»Ihr gebt auf?«, schrie Ravin. Seine Hand pochte, doch die Wut verschwand nicht.
»Darian gibt seine Zauberei auf, nur weil er Sella nicht helfen konnte! Und ihr überlasst Amina einfach den Woran! Ich verstehe euch nicht!«
»Ravin, beruhige dich.«
Darians Stimme klang so vernünftig, dass er ihn am liebsten ebenfalls geschlagen hätte.
»Sie kann noch nicht weit sein«, beharrte Ravin. »Reitet ihr weiter zur Burg. Aber ich werde sie nicht im Stich lassen!«
Sie sahen ihn an, als hätten sie einen Verrückten vor sich. Er drehte sich um und rannte zu den Pferden. Unwirsch griff er nach Vajus Mähne. Doch es geschah etwas, mit dem er niemals gerechnet hätte: Vaju scheute vor ihm. Bevor seine Finger ihre Mähne berührten, hatte sie bereits einen Satz zur Seite gemacht und trabte zum Ende der Lichtung. Er kniff die Lippen zusammen, schwang sich ohne zu zögern auf das Horjun-Pferd und schlug ihm die Fersen in die Seiten. Das Pferd keilte aus, dann schoss es davon. Darians Rufe gellten in Ravins Ohren, doch er hörte nicht hin und ritt den Weg entlang, den Amina gegangen sein mochte.
Er achtete auf jedes Knacken im Unterholz, auf jede Bewegung, jedes leuchtende
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