Im Bann des Fluchträgers
wenig ähnelte wie ein Snai einem Naj. Doch dann lächelte er und Ravin erkannte seinen Freund wieder.
»Bei dir braucht man sich nie Sorgen zu machen, ob du auf eigene Faust in eine Burg gelangen kannst«, sagte er.
Zum ersten Mal, seit Amina verschwunden war, fühlte Ravin sich ein wenig getröstet.
»Dafür bin ich es, der jedes Mal die Prügel einsteckt«, gab er zurück und rieb sich den Kopf, der immer noch zu zerspringen drohte.
Darian setzte sich zu ihm an den Bettrand.
»Ladro wäre da anderer Meinung«, antwortete er.
Ravin schluckte.
»Ist er sehr wütend, dass ich ihn geschlagen habe?«
»Nun, er sagte etwas davon, dass man Verrückte nicht aufhalten soll. Und wenn man bedenkt, wie du dich auf dem Lagerplatz benommen hast, kann man ihm diese Worte nicht verübeln.«
»Ich musste Amina suchen!«
Darian seufzte.
»Ich weiß, Ravin. Und sogar Ladro versteht es, glaube mir. Was ich dir nun sage, mag hart klingen, aber nimm es als Bitte von einem Freund, der wohl am besten nachfühlen kann, wie dir zumute ist. Ravin, ich habe Sella losgelassen. Und du musst Amina gehen lassen, hörst du? Amina ist tot.«
Ravin rieb sich die Augen und schüttelte krampfhaft den Kopf.
»Ich weiß, dass sie zur Woran wird«, brachte er schließlich hervor. »Aber was bedeutet das? Wie kann Amina tot sein, wenn sie durch den Wald wandert?«
»Es ist die Woran, die im Wald ist, Ravin.«
»Ich muss sie finden.«
Darian lächelte.
»Du musst so viel, Ravin. Du denkst, du bist für alles verantwortlich und kannst alles ändern, selbst das Schicksal. Aber es wäre einfacher, einen Apfel, der vom Baum gefallen ist, wieder mit dem Zweig zu verbinden, oder einen Schmetterling, nachdem er geschlüpft ist und seine Flügel entfaltet hat, wieder in den Kokon zu schieben. Der Kreislauf ist unterbrochen. Amina wusste das. Wenn du sie fändest, würde sie dich nicht einmal mehr erkennen.«
Ravin senkte den Kopf. Er wusste, dass sein Freund Recht hatte. Und dennoch regte sich immer noch Widerstand in ihm.
»Wenn ich so denken würde wie du oder Laios, dann müsste ich auch Jolon längst aufgegeben haben«, sagte er trotzig. »Aber …« – er schluckte den Kloß in seinem Hals hinunter und hob den Kopf – »… ich gebe Jolon nicht auf!«
Er zwang sich tief einzuatmen und aufzustehen. Das Zimmer drehte sich für einen Augenblick, fand dann seine Position vor Ravins Augen und hielt still.
D
as Erste, was Ravin auffiel, als sie die langen Gänge der Regenbogenburg entlanggingen, war, dass sie bei weitem nicht so groß waren, wie er sie in Erinnerung hatte. Das Zweite war die Stille, die sie umgab, als sie an den Gruppen von Menschen vorbeigingen, die auf den Gängen standen und sie mit großen Augen betrachteten. Viele von ihnen schienen nur gekommen zu sein, um Darian und Ravin zu sehen, die unfreiwilligen Botschafter aus Skaris, dem Land der Geisterpferde und gekauften Morde. Was Ravin noch auffiel, war die Ehrfurcht, mit der die Menschen Darian begegneten. Einige senkten vor ihm den Blick, andere stießen sich an und flüsterten miteinander. Mit klopfendem Herzen suchte er in dem Gesichtermeer nach Leuten aus seinem Lager, doch entdeckte er niemanden.
Hart und einsam hallten seine und Darians Schritte inmitten dieser stummen Prozession. Ravin war froh, als endlich die schmale Tür in Sicht kam, die ins Zimmer der Räte führte.
Es wurde still, als sie den Saal betraten. Ravin blinzelte, so hell strahlte die Nachmittagssonne, die sich im gläsernen hufeisenförmigen Tisch brach, der so groß war, dass er die Königin, die am Scheitelpunkt an der gebogenen Seite saß, nur von weitem sehen konnte. Wie die Burg, so kam auch die Königin ihm nun kleiner vor, nicht mehr so unnahbar und mächtig wie damals, als er sie das erste Mal gesehen hatte. Ihre
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