Im Bann des Fluchträgers
so weit ist.«
Sie kicherte und sah wieder aus wie die kindliche Nymphe, die ihm vor Badoks Burg begegnet war. Verschmitzt legte sie einen Finger über die Lippen.
»Ich verstecke mich«, wisperte sie und fiel in einem Ascheregen einfach in sich zusammen. Ein kühler Windstoß vertrieb ihre Wärme und ließ Ravin frösteln. Er atmete auf und ging durch den Stall in den Burghof zurück. So zielstrebig wie möglich strebte er dem Dienstboteneingang zu. Die schmale Tür stand offen, unbehelligt betrat er den langen Gang und schlug den Weg zum Thronsaal ein.
Horjun kamen ihm entgegen. Ihre Schritte hallten auf den Fluren, lange bevor Ravin sie erblickte. Er schien kein ungewöhnlicher Anblick zu sein, denn sie hoben kaum den Blick, wenn sie ihm begegneten. Feuernymphen flackerten hier und dort auf, wichen jedoch aus, sobald sie Schritte hörten. Nur ihr Prasseln und der Geruch nach versengten Türen, der noch in der Luft hing, kündeten von ihren Besuchen auf den Gängen.
Die Türen der großen Gastgemächer waren mit Balken vernagelt. Dahinter, so vermutete Ravin, waren die Bewohner der Burg gefangen. Doch er widerstand der Versuchung, an die Türen zu klopfen, und erklomm die steile Treppe am Ende des Flurs. Ein fahler Himmel schimmerte durch die schmalen Fenster. Befehle gellten über den Hof. Ravin ertappte sich dabei, dass er die Treppen hinaufrannte. Mitten im Laufen breitete sich wie ein Fieberbrand die Berührung des Traumfalters über seine Stirn. Da war es wieder: das wütende Brennen, das ihn an Najas Kuss erinnerte. War es Laios, dessen Schmerz er hier spürte? Er stützte sich an der Wand ab und holte Luft, bis das Brennen so weit nachließ, dass er wieder klar denken konnte. Dann betrat er den Gang im oberen Teil der Burg und zwang sich dem Schmerz zu folgen. Wie ein Blinder, der nicht mit seinen Augen sieht, sondern mit seinem ganzen Körper die Schwingungen seiner Umgebung wahrnimmt, tastete er sich weiter, verharrte, lauschte in sich hinein, bis der Anflug einer Ahnung ihn wieder in die andere Richtung führte.
Rechts von ihm öffnete sich ein Gang, an dessen Ende sich eine Tür befand. Die Köpfe zweier Pferde aus Perlmutt dienten als Türklinken. Die Tür ließ sich lautlos öffnen. Ravin hatte erwartet einen Raum vor sich zu sehen. Stattdessen schaute er auf eine Art Sockel, der weit über seinen Kopf hinausragte und so breit war, dass er ihn nicht einmal mit ausgestreckten Armen hätte umfassen können. Er zog die Stiefel aus und schlich dorthin, wo Licht hinter dem Sockel hervorschimmerte. Ein Geräusch ließ ihn innehalten. Atem? Nein, es klang eher wie ein Rasseln und es kam eindeutig aus dem Raum, in dem der Sockel stand. Dann vernahm er ein Stampfen, das lauter und lauter wurde. Noch dichter schob er sich heran und brachte seine Schleuder in Position. Dann wagte er einen Blick um die Ecke.
Er kam gerade im richtigen Moment um zu beobachten, wie die Flügeltüren des Thronsaal aufflogen und eine Horde von Badoks Hauptleuten in den Saal schritt. Etwa dreißig waren es. Die schlammbespritzten Mäntel, manche davon in Fetzen, blutbeschmierte Wangen und notdürftig verbundene Wunden deuteten auf einen schweren Kampf hin. Ravin stand gebannt und ließ den Blick über die Schwerter gleiten. Er verdrängte den Gedanken, wessen Blut die ledernen Schwertscheiden dunkel färbte, und zwang sich mit dem Hintergrund zu verschmelzen. Manche der Hauptleute trugen ihre Helme unter dem Arm, das weiße Morgenlicht ließ ihre müden Gesichter fahl und eingefallen wirken. Ein breitschultriger Kommandant, über dessen Kinn sich eine Narbe aus einem alten Kampf zog, trat vor und verneigte sich. Jetzt erst wurde Ravin bewusst, dass der Sockel, hinter dem er sich versteckte, der Thron der
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