Im Bann des Fluchträgers
Mund. Amgar Bor, seine Lehrerin im Dienste der Horjun, stand wenige Schritte von ihm entfernt!
»Ich verstehe dich nicht, Diolen«, sagte sie geradeheraus.
Sie standen sich gegenüber, Auge in Auge. Amgar wich seinem Blick nicht aus und Ravin erkannte, dass sie die Einzige war, die vor ihrem Herrn keine Angst hatte.
»Was soll das Spiel im Wald?«, fuhr sie mit ruhiger Stimme fort. »Führen wir einen Scheinkrieg? Kämpfen wir gegen ebenbürtige bewaffnete Krieger oder hast du uns nur mitgenommen, damit wir im Wald ein Lager nach dem anderen ausmerzen? Ich habe meine Truppe nicht dafür ausgebildet, harmlose Waldbewohner umzubringen.«
»Sie sind nicht harmlos, das weißt du«, erwiderte er.
Ihre Faust schloss sich fester um ihren Helm.
»Du warst nicht dort, Diolen. Du hast nicht gesehen, wie sie kämpfen und leben – und sterben. Die Menschen hier im Wald mögen hinterlistige und gewitzte Krieger sein, aber Seelenlose sind sie nicht. Und die Alten und die Kinder, die du abschlachten lässt … Diolen – das ist nicht richtig. So führen wir keinen Krieg.«
Diolen hatte sich bei ihren Worten aufgerichtet.
»Ich glaube nicht, dass du dir ein Urteil erlauben kannst, Amgar. Oder dir eines bilden solltest. Seit mein Vater mir die Befehlsgewalt über das Heer gegeben hat, bist du eine Kämpferin in meinen Diensten.«
Sie schwieg und sah ihn lange an. Als sie wieder zu sprechen begann, schwang ein Hauch von Bitterkeit in ihrer Stimme mit.
»Und diese Macht ist dir offensichtlich zu Kopf gestiegen«, sagte sie. »Ich kannte einen anderen Diolen. Einen jungen Mann, der nicht hochmütig und herzlos war. Ich kannte einen Jungen, dem ich das Reiten beigebracht habe.« Ihre Stimme klirrte durch den stillen Raum. »Erinnerst du dich, als du heimlich Badoks Schlachtpferd aus dem Stall geholt hast? Es war doppelt so groß wie du und natürlich hat es dich abgeworfen. Du bist mit gebrochenem Arm zu mir gekommen, damit ich es wieder einfange und in den Stall zurückbringe, bevor dein Vater es bemerkt. Ich kannte einen jungen Mann, von dem ich glaubte, dass er ein guter Herrscher werden würde. Ein Königssohn, der in allen Provinzen geachtet und geliebt wurde. Erinnerst du dich nicht? Ich erinnere mich, Diolen. Ich erinnere mich sogar, wie du dafür gesorgt hast, dass der ungeschickte Diener, der den Weinbecher deines Vater zerbrach, nicht vom Hof gejagt wurde.« Sie lächelte ein dünnes Lächeln. »Badok war immer ein zorniger Mann«, fuhr sie fort. »Aber er war stets ein gerechter Herrscher und guter Lagerherr. Wie sehr hat er sich verändert – und mit ihm du, Diolen.«
Die Stille, die nach Amgars Worten eintrat, dauerte lange. Immer noch konnte Ravin Diolens Gesicht nicht erkennen. Amgar suchte darin nach einer Regung und schien etwas zu finden, denn plötzlich schlich sich ein weicher Zug in ihre Miene. Beschwörend fuhr sie fort: »Beende diesen Krieg, Diolen! Die Worte des Wanderers mögen deinem Vater zu Kopf gestiegen sein, sodass er das Märchen von der Hexe glaubte. Mit seiner Hilfe habt ihr die Krieger aus Run gerufen. Doch jeder eurer Magier, die ihr aus der Burg verbannt habt, hätte euch sagen können, dass sie mehr Schaden anrichten würden als der schlimmste Zauber. Sie morden Unschuldige und haben die weißen Pferde gejagt und ihr Blut getrunken. Ich habe gehört, dass einige Horjun von ihnen getötet wurden, als sie nicht weiterkämpfen wollten. Höre auf einen solchen Krieg zu führen. Es ist noch nicht zu spät!«
Diolen lachte.
»Du heulst ein paar feigen Horjun hinterher? Amgar, du verstehst nicht und du sollst auch gar nicht verstehen – ich bin vollauf zufrieden, wenn du deinen Dienst versiehst. Und die Krieger aus dem Lande Run«, seine Stimme sank zu einem bedrohlichen Flüstern,
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