Im Bann des Fluchträgers
eine Stimme. Ravin hörte, wie neue Pferde gesattelt und aus dem Stall geführt wurden. Als auch die letzten Schritte verhallt waren, griff Ravin mit zitternder Hand unter sein Hemd und zog das Messer hervor. Schwer und angenehm kühl lag es in seiner Hand. Nun war es an der Zeit, Laios zu suchen. Gerade wandte er sich zum Gehen, als ein warmer Hauch über seinen Nacken strich.
»Heute bist du ohne deine Namida unterwegs?«, fragte Naja. Größer und kraftvoller war sie, ihr Mädchengesicht schien älter zu sein. Die Wand, vor der sie stand, wurde rußschwarz, das Moos trocknete und verkohlte.
»Ja«, flüsterte er. »Und du kämpfst für deinen Herrn?«
Ihr Gesicht verdüsterte sich.
»Es ist auch dein Herr«, sagte sie. Ihre kraftlosen Flammen und die Ruhe, die sie ausstrahlte, irritierten Ravin.
»Was ist geschehen, Naja?«, fragte er leise.
Noch düsterer wurde ihr Flackern, bis die Nymphe in einem dunklen Orange leuchtete.
»Wir sind über das Meer gefahren! Er hat uns in enge Lampen aus Stein befohlen und einen Schlafzauber gesprochen«, jammerte sie. »Aber ich habe trotzdem das Schlagen der Wellen gehört, die nach uns leckten. Und jetzt sind wir in diesem nassen Land. Wir verbrennen Bäume und Zelte – und berühren, wen unser Herr uns zu berühren befiehlt. Es macht keine Freude! Und dann fließt auch noch dieser Fluss in der Nähe … Ravin, es gefällt mir hier nicht. Ich will zurück in die Feuerberge!«
Feuerzungen flossen traurig über ihre hängenden Arme und tropften in das feuchte Gras.
»Auch du brennst nicht mehr so hell«, sagte sie dann. »In deiner Brust flackert nur ein winziges schmerzblaues Feuer. Bist du noch immer auf der Suche?«
»Mehr denn je, Naja.«
»Hast du deine Freunde nicht gefunden?«
Er musste lachen. Für Feuernymphen schien Zeit nicht viel zu bedeuten.
»Doch«, sagte er. »Gefunden haben wir uns – und wieder verloren.«
»Auch deine Namida mit den Kohleaugen?«
»Meine Namida … ist tot.«
»Erloschen?« Hoffnung flackerte in ihren Augen auf. »Ich werde nie erlöschen, Ravin. Und dich niemals verlassen. Ich kann dich sogar begleiten – denn hier dürfen wir in die Burg!«
Ravin sah besorgt zur Stalltür, doch niemand war in der Nähe.
»Ich muss alleine in die Burg«, antwortete er. »So hat unser Herr es mir befohlen.«
Sie seufzte und zuckte die Schultern.
»Soll ich dann nach deinem Freund mit dem Springfeuer suchen?«
Ravin schüttelte den Kopf.
»Nein, meine Freunde sind bereits auf dem Weg hierher. Aber sie können nicht in die Burg. Die Tore sind geschlossen.«
»Dann befiel den Wächtern die Tore zu öffnen.«
»Auch das hat unser Herr mir verboten. Aber du, Naja, kannst es!«
»Ich?« Ihre Augen wurden zu runden Feuerrädern. »Wie könnte ich denn ein Tor öffnen? Ich bin eine Nymphe!«
»Auch nicht, wenn es aus Holz ist?«
Der Gedanke schien ihr zu gefallen.
»Das ist etwas anderes«, meinte sie und lächelte. Doch einen Augenblick später huschte bereits wieder der ängstliche Schatten über ihr Gesicht. »Aber was wird mein Herr dazu sagen?«
»Hat er dir verboten die Tore zu verbrennen?«
Sie dachte nach.
»Nein«, meinte sich nach einigem Zögern. »Er hat nur gesagt, wir dürfen die Ställe nicht verbrennen und keine Speere.«
»Also«, schloss Ravin. »Was dir nicht verboten wurde, darfst du tun. Dir wurde nicht befohlen die Tore nicht zu öffnen.«
Funken des Übermuts blitzten in ihren Augen auf.
»Gut«, sagte sie und explodierte in einem Wirbel aus blauen Funken.
»Halt!« Um ein Haar hätte Ravin sie am Arm ergriffen und zurückgehalten, doch die Hitze, die seine Finger verbrannte, hielt ihn rechtzeitig zurück. Bebend vor Ungeduld verharrte sie.
»Geduld, Naja!«, flüsterte er. »Warte, bis meine Freunde vor der Burg sind. Ich werde dich rufen, wenn es
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