Im Bann des Fluchträgers
beigebracht hatte, und wartete auf ihr Zeichen.
»Komm zum Fenster!«, sagte sie. Ihre Stimme klang tief und ein wenig rau. Fältchen spielten um ihre hellen Augen. Festen Schrittes ging er auf sie zu. Erst jetzt bemerkte er, dass er mit der Königin allein im Raum war. Es machte ihn noch verlegener.
Sie wandte sich ganz zu ihm um und verschränkte die Arme. Lange musterte sie ihn.
»Du bist also Ravin«, sagte sie schließlich.
Ravin räusperte sich. Ungeduld ließ seine Stimme heiser klingen.
»Ja, Majestät.«
»Dein Bruder war lange nicht mehr hier.«
»Ja. Er spricht viel von Euch.«
»Vor langer Zeit hat er dich einmal in die Burg mitgebracht, als er meinen Vater vom roten Fieber heilte. Du erinnerst mich kaum mehr an den kleinen Jungen von damals – du bist erwachsen geworden. Wirst du auch ein Shanjaar werden wie dein Bruder?«
Ravin schüttelte den Kopf.
»Nein. Ich bin ein Jäger, kein Heiler. Und auch die Magie liegt mir nicht.«
»Was jagst du?«
»Ranjögs, Fische, Vögel, Echsen – alles, was wir benötigen.«
Sie zog anerkennend die Augenbrauen hoch.
»Du bist sehr jung für einen Ranjögjäger. Und ich nehme an, du bist immer noch so ein guter Reiter, nicht wahr?«
»Nun, so sagt man bei uns im Wald«, meinte er verlegen.
Die Königin lachte.
»Zumindest was die Bescheidenheit angeht, seid Jolon und du euch ähnlich.«
Dann wurde ihr Gesicht ernst.
»Ravin, du hast bereits gehört, dass Gesandte aus Lom und anderen Nachbarländern hier sind. Die Gesandten von Tana sind eingetroffen und erwarten mich in Kürze im Zimmer der Räte. Man sagte mir, du seist mit einer Botschaft hierher gekommen. Jolon ist in Gefahr?«
Ravin senkte den Kopf.
»Ja«, sagte er. »Wir glauben, dass er sterben wird, wenn wir nicht schnell Hilfe finden.«
»Ist er verletzt?«
»Nicht so, dass man es sehen könnte. Vorgestern ritt er in das benachbarte Lager um eine Kranke zu besuchen. Er ritt allein, obwohl ich ihn gebeten hatte mich mitzunehmen. Seit einigen Wochen stürmt es im Wald wie seit Jahren nicht mehr, die Bäume tragen in diesem Jahr kaum Früchte und der Wald ist gefährlich geworden. Jolon kehrte bereits in derselben Nacht zurück. Und er war müde – so müde, wie ich es bei ihm noch nie erlebt hatte. Sein Gesicht war bleich, er sprach wie im Traum, schleppend und ohne Zusammenhang.«
»War er verwundet?«
»Nein, er ließ sich vom Pferd gleiten und verlor das Bewusstsein. Und ist bis heute nicht erwacht. Er fiebert.«
Ravins Stimme zitterte bei der Erinnerung an das gequälte Gesicht seines Bruders, doch er fasste sich wieder. »Wir haben alles versucht um das Fieber zu senken, damit er wieder zur Besinnung kommt.«
Die Königin hatte sich aufgerichtet.
»Oh, mein armer Jolon«, sagte sie tonlos.
»Und da ist noch etwas.«
Sie blickte ihn aufmerksam an.
»Jolon trug einen Stein bei sich. Einen purpurnen Kristall, nicht größer als eine Kinderfaust. Wir wissen nicht, woher er stammt. Niemand, den wir befragt haben, kennt diese Art von Kristall.«
»Hast du ihn mitgebracht?«
Ravin schüttelte bekümmert den Kopf.
»Wir wollten ihn aus Jolons Hand nehmen. Doch er hört auf zu atmen, wenn man den Stein von ihm entfernt. Wir haben es versucht, aber man konnte zusehen, wie Jolon sofort schwächer wurde.«
Die Königin drehte sich zum Fenster und blickte wieder auf das Tjärgland vor der Burg.
»Das klingt nicht gut, Ravin«, sagte sie leise.
»Wir haben die Shanjaar aus den anderen Lagern geholt, doch auch sie konnten nicht helfen.«
Eine Pause entstand. Die Regentropfen schlugen an die Fenster, der Wind trieb Wirbel von abgerissenen Blättern die Burgmauern hoch.
»Ich werde alles tun, was in meiner Macht steht, Ravin«, sagte sie. »Doch liegt es nicht an mir, zu entscheiden, wie ich Jolon helfen kann. Wir müssen die Zauberer des
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