Im Bann des Fluchträgers
für ihn bestimmt war, aber er kehrte sich gegen ihn. Und nun ist Jolon gefangen.«
»Aber was bedeutet das?«, fragte Ravin.
Jarog schüttelte den Kopf.
»Wir wissen es nicht.«
Ravin vergaß vor Ungeduld und Anspannung seinen Respekt und seine Schüchternheit.
»Was heißt, ihr wisst es nicht?«, rief er. »Wenn ihr es nicht wisst, wer dann?«
»Dein Bruder wird nicht erwachen«, sagte Atandros. »Wir können versuchen den Eigentümer des Steines zu finden, den Shanjaar, der den Fluch gesprochen hat – aber wenn jemand so fest gebunden ist, dass er nicht mehr in diesem Bewusstsein leben kann, dann können auch wir ihn nicht davon befreien.«
Das Echo dieser Worte wirbelte wie ein scharfkantiger Schauer von Silbersplittern durch den Raum, mitten durch Ravins Herz.
Die Königin war aufgestanden. Die beiden Zauberer blickten Ravin an, der um Fassung rang.
»Es tut uns Leid, Majestät«, schloss Atandros würdevoll. »Uns selbst schmerzt es, unsere Hilflosigkeit eingestehen zu müssen, aber wir können nichts für Jolon tun.«
Jarogs Zornesfalte wurde steiler.
»Ganz recht«, sagte er in seinem Singsang. »In einem solchen Fall sind wir machtlos. Als ich in Lom und Tana unterwegs war, sind mir solche Fälle begegnet. Es gab Zauberer, die behaupteten helfen zu können. Aber stets stellte sich heraus, dass es Scharlatane waren. Die Bewusstlosen wurden nach und nach schwächer und hörten irgendwann einfach auf zu atmen. Ravin va Lagar, so Leid es uns tut, wir können Jolon nicht retten.«
Voller Mitleid sah er Ravin an, der nur mühsam seine Tränen zurückhalten konnte.
»Wie könnt ihr so etwas sagen«, brachte er schließlich hervor. »Ihr entscheidet über Leben und Tod meines Bruders, ohne auch nur versucht zu haben einen Ausweg zu finden!«
»Weil es keinen Ausweg gibt«, sagte Jarog.
Die Königin war ernst geworden. Ravins Hoffnung schwand, als er den Ausdruck in ihren Augen sah.
»Laios?«, fragte sie. »Stimmst du Jarog und Atandros zu?«
Laios hüstelte und runzelte die Stirn. Bisher hatte er im Hintergrund gewartet, nun trat er langsam vor und hielt Ravins verzweifeltem Blick stand.
»Im Grunde habe ich nichts hinzuzufügen, Majestät!«, sagte er schließlich mit einer Stimme, die so tief und klangvoll war, dass Ravin, hätte er sie mit geschlossenen Augen vernommen, geglaubt hätte, sie gehöre einem viel jüngeren Mann.
»Wie ich es drehe und wende, ich finde keine vernünftige Lösung. Ravins Geschichte erinnert mich an ein Lied, das ich vor vielen Jahren gehört habe.« Er schloss die Augen und sang: »Teil na Skaardja kon va nar, Skardjaan schem jig na vazar.‹ So in etwa. Es hat noch achtundvierzig Strophen, doch sie sind im Sand der Zeit verschüttet.«
Jarog sah ungeduldig aus und auch Atandros schien Laios’ Worten nicht viel abgewinnen zu können. Doch Laios fuhr fort.
»Als ich noch jung war, habe ich dieses Lied in Skaris gehört. Ich reiste nach Norden und hörte von Skaardja, einer Heilerin, die im Grenzgebiet lebte. Es hieß, sie besitze eine Heilquelle, deren Wasser sogar Tote aus ihrem Reich jenseits der lichten Grenze zurückrufen könne. Vorausgesetzt, sie wollen noch umkehren.«
»Und was soll uns diese Geschichte sagen?«, spottete Atandros. »Es ist ein Märchen, Laios. Jeder kennt den Spruch: ›Die Quelle der Skaardja fließt nirgends und ü berall.‹ Es ist eine Zaubergeschichte für Kinder.«
Laios wiegte nachdenklich den Kopf.
»Mag sein, du hast Recht, Atandros. Die Menschen sind bereit Mythen und Wunder zu erschaffen. Mag sein, es gab diese Heilerin, mag sein, dass auch sie ein Märchen ist. Aber in jeder Perle steckt ein Sandkorn.«
Ravins Herz schlug bis zum Hals. Skaris! Die Schauergeschichten seiner Kindheit spielten dort. In Skaris lebten Ranjögs, die um ein Vielfaches
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