Im Bann des Fluchträgers
Gislan-Kreises befragen. Hilt!« Auf ihren Ruf hin schwang ein schwerer Flügel der Tür auf und ein Diener erschien.
»Rufe die Zauberer!«
Der Diener nickte und zog sich zurück.
»Du würdest sie wohl Shanjaar nennen«, sagte sie mit einem Lächeln zu Ravin. »Wenn jemand weiß, wie man Jolon helfen kann, dann sie.«
Ravin atmete auf.
»Du sagtest, es stürmt seit Wochen?«, fragte die Königin.
»Ja, unser Wald hat sich verändert. Es ist kühler geworden. Und überall Hallgespenster. Sie stören mich bei der Jagd.«
»Also auch dort«, sagte sie und sah zu Boden. Mit einem Mal fiel Ravin auf, dass die Königin erschöpft wirkte. Auf ihrer Stirn zeichneten sich spinnenfeine Falten ab, die sie noch besorgter aussehen ließen.
»Die Stürme werden schlimmer, die Hallgespenster sind überall. Das allein bedeutet zwar noch keine Gefahr, aber es zeigt doch, dass sich etwas verändert. Die Gesandten berichten Ähnliches aus den Grenzregionen. Unsere Herden sind unruhig und haben sich weit ins Gebirge zurückgezogen …«
Sie blickte zum Fenster und versank in tiefes Nachdenken. Plötzlich schien ihr aufzufallen, dass Ravin nicht wegen der Hallgespenster und Stürme zur Burg gekommen war.
»Entschuldige, Ravin«, sagte sie leise ohne sich zu ihm umzudrehen. »Das alles sind Dinge, die dir im Augenblick nichts bedeuten.«
Ravin suchte nach einer Antwort, doch er fand keine. Die kurze Stille im Saal wirkte erdrückend. Er spürte ein Flattern an seiner Schläfe wie die Berührung eines Schmetterlings.
»Ich spüre, dass dich deine Träume quälen. Was siehst du?«
Verwundert strich er sich über die Stirn. Es war das erste Mal, dass er die Berührung des Traumfalters gespürt hatte. Jolon hatte ihm erzählt, dass die Königin die Kunst beherrschte, einen Blick in die Träume der Menschen zu werfen. Sie hatte sich umgedreht und sah ihm nun direkt in die Augen.
»Ich träume von ihm, jede Nacht«, antwortete er. »In meinem Traum ist er wach und ruft mich.«
Sie nickte abermals und schloss die Augen, als wollte sie diesem Bild nachspüren.
Im selben Augenblick öffnete sich die hohe Tür, Stimmengewirr und der Widerhall von schnellen Schritten drangen in den kristallstillen Thronsaal.
Die Zauberer traten ein.
Drei waren es – und bei ihrem Anblick fühlte Ravin sich mit einem Mal klein und unsicher und wünschte sich in seinen Wald zurück. Die Luft schien zu knistern, als sie den Saal betraten und sich vor der Königin verneigten. Der erste war gut zwei Köpfe größer als Ravin, hatte kurzes, graues Haar und ein hageres Gesicht, aus dem die Nase und die dunklen Augen unter den buschigen Brauen herauszustechen schienen. Sein Blick war der eines Fährtenlesers. Wie die anderen trug auch er das lange purpurfarbene Gewand mit dem Wappen des Gislan-Kreises am Ärmel.
Der zweite war kleiner, etwa so groß wie Ravin, jedoch doppelt so breit und sicher fünfmal so alt. Sein Gesicht war kantig und derb, zwischen seinen Augenbrauen, die sich in kleinen Löckchen zwirbelten, ragte eine steile Zornesfalte. Lockiges Haar umrahmte sein Gesicht und ließ es noch breiter erscheinen.
Der letzte der drei Zauberer schien der älteste zu sein. Neben den beiden anderen wirkte er zerbrechlich. Das Haar, das ihm geflochten bis zur Mitte des Rückens fiel, war farblos und fein, das bartlose Gesicht schmal und dunkel und sah aus, als wäre es aus der gefältelten Rinde eines uralten Jalabaumes geschnitzt. Der Eindruck von hohem Alter verstärkte sich noch durch seine vornübergebeugte Haltung. Als er sich aus seiner angedeuteten Verbeugung vor der Königin aufrichtete, begegnete sein Blick für einen Moment dem von Ravin. Mit Unbehagen ertrug er den Blick der eisgrauen Augen, die ihn an
Weitere Kostenlose Bücher