Im Bann des Highlanders
»Wisst Ihr, was Euer Vater mit mir vorhabt? Womöglich lässt er mich auch lebendig begraben, obwohl ich nichts getan habe.«
»Mein Vater redet mit Frauen nicht über diese Dinge, aber ich kann Ewan fragen«, wich Màiri aus. Sie schien mehr zu wissen, als sie vorgab, und über Joans Rücken kroch eine Gänsehaut.
Was nützte es ihr, dass man vielleicht einen Suchtrupp losgeschickt hatte, wenn sie sang- und klanglos in der Vergangenheit verschwunden war? Niemand würde jemals mehr etwas von ihr hören und sehen, man würde nur ihre Tasche finden, die noch irgendwo in der Zukunft auf dem Waldboden lag.
Màiri zuckte erschrocken zusammen, als Joan plötzlich nach ihren Händen griff und sie eindringlich anschaute. »Was wisst Ihr? Bitte sagt es mir.«
»Nun ja«, die junge Schottin zierte sich ein wenig, »ich habe gestern beim Frühstück nur ein paar Wortfetzen aufgeschnappt, als sich Ewan und mein Vater über Euch unterhielten. Es ist noch ungewiss, was mit Euch geschehen soll, aber Eure Freiheit werdet Ihr nicht zurück bekommen.«
Erschüttert starrte Joan sie an. »Ihr meint ... ich werde für immer hier in diesem Loch eingesperrt bleiben?«
»Ich weiß es nicht.« Màiris Stimme klang gequält. »Mir ist klar, dass mein Vater damit gegen die Gesetze verstößt, aber er ist noch immer davon überzeugt, dass Ihr Ceana Matheson seid, die aus ihrem Grab gestiegen ist, um neues Unheil anzurichten.«
»Aber das ist nicht wahr! Ihr wisst, dass ich Engländerin bin – Ihr müsst mit Eurem Vater reden!«
Die Augen der kleinen Schottin weiteten sich vor Schreck, und kopfschüttelnd entgegnete sie: »Wie stellt Ihr Euch das vor? Ich bin nur eine Frau und kann den Willen meines Vaters nicht beeinflussen.«
Resigniert sank Joan zurück an die feuchte Zellenmauer. Laird Dòmhnall würde sie in diesem Kerker verschimmeln lassen.
Zusammengesunken und mit unglücklicher Miene kauerte Màiri da. »Ich würde Euch gerne helfen, aber wie sollte ich das anstellen?«
Joan ahnte, dass nun die Stunde gekommen war, um Màiri zu überreden, ihr zur Flucht zu verhelfen. Sie beugte sich wieder vor und suchte ihren Blick. »Wenn Ihr mir behilflich seid, werde ich fliehen.«
»Fliehen? Aus diesem Verlies? Das ist unmöglich!« Erschrocken sprang Màiri auf. »Ihr vergesst, dass die Aussenpforte streng bewacht wird.«
»Aber ich werde hier sterben, wenn Ihr mir nicht helft.« Joan flehte sie an und appellierte damit an das gute Herz der Anderen. »Ihr wisst so gut wie ich, dass ich keine Hexe bin. Könnt Ihr denn mit Eurem Gewissen vereinbaren, untätig zuzusehen, wie mir mitgespielt wird?«
Joans Worte schienen Màiri nachdenklich zu machen, sie setzte sich wieder und starrte dann minutenlang in die Flamme der Kerze. Joan achtete auf jede winzige Muskelbewegung in Màiris Gesicht, im Stillen schickte sie ein Stoßgebet zum Himmel, dass sie nicht in der Vergangenheit sterben musste – möglicherweise unter grausamen Bedingungen.
Endlich blickte Màiri wieder auf, ihre Miene war noch immer nachdenklich. »Es gibt keine Möglichkeit, Euch aus der Burg zu schleusen, das Einzige, was ich versuchen kann, ist einen Plan zu entwickeln, Euch aus dem Kerker zu holen und Euch irgendwo in der Burg zu verstecken. Aber macht Euch nicht zu viel Hoffnung, ich weiß wirklich nicht, wie ich das anstellen soll.« Sie stockte. »Ihr wisst, was mir blüht, wenn Ihr plötzlich verschwunden seid? Der Verdacht wird auf mich fallen, und mein Vater kann sehr hart und streng sein.«
Daran hatte Joan überhaupt nicht gedacht, sie konnte nicht Màiris Zukunft und die ihrer Familie aufs Spiel setzen. Auch wenn Joans Sehnsucht nach ihrer Zeit fast unbändig war, blieb sie so vernünftig, um einzusehen, dass andere Menschen wegen ihrer Flucht nicht in Gefahr geraten durften.
»Am besten, Ihr vergesst, worum ich Euch gebeten habe«, sagte sie schließlich und strich sich mit ihrer vor Dreck starrenden Hand über das ebenso schmutzige Gesicht. Gütiger Himmel, wie lange war es her, dass sie ein Bad genommen, sich die Zähne geputzt und ihre Kleidung gewechselt hatte?
Màiri setzte ein zuversichtliches Lächeln auf. »Wer weiß, vielleicht fällt mir etwas ein, das den Verdacht nicht auf mich fallen lässt.« Sie richtete sich auf und hauchte Joan einen leichten Kuss auf die Wange. »Ich werde Euch nicht Eurem Schicksal überlassen, mo bràmair 4 .«
4 meine Freundin
Sie erhob sich flink, griff nach dem Essenstablett und huschte aus der Zelle, die sie
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