Im Bann des Highlanders
war.
Mitfühlend legte Joan ihr die Hand auf die Schulter. »Wenn du nicht weiter darüber reden möchtest, habe ich Verständnis dafür.«
Ein kleines Lächeln huschte über Màiris Gesicht. »Die Geschichte hatte ein gutes Ende. Ich kniff die Augen zusammen, doch noch bevor diese zerlumpte Gestalt mich küssen konnte, fühlte ich plötzlich, dass sein Gewicht nicht mehr auf mir lastete. Als ich die Augen öffnete, stellte ich fest, dass sich ein anderer Mann den Strolch geschnappt hatte und auf ihn eindrosch.« Bei der Erinnerung an diese Szene fasste sich Màiri instinktiv an die Kehle. »Der Andere war groß, stark und hatte einen Sgian Dubh 10 bei sich. Der Wegelagerer war ihm unterlegen und winselte schließlich um sein armseliges Leben. Mein Retter ließ ihn laufen, aber nicht, ohne ihm vorher nahe zu legen, sich nie wieder blicken zu lassen.«
10 Kleiner, messerähnlicher Dolch, den der Highlander meistens in seinem Strumpf trug
Màiri hielt inne. In Gedanken schien sie diese aufregenden Minuten noch einmal zu erleben, denn ihre Miene spiegelte das fassungslose Entsetzen wider, das sie damals gepackt hatte.
»Nachdem der Halunke im Dunkel des Waldes verschwunden war, half mir mein Retter beim Aufstehen und stellte sich mir vor: Mìcheal MacGannor, ein Neffe des Clanoberhauptes. Ich hatte ihn bisher noch nie gesehen, und er erklärte mir daraufhin, dass er lange Zeit in den Lowlands gelebt habe.«
Joan ahnte bereits, wie die Geschichte weiterging.
»Was suchte er denn auf dem Gebiet der MacLaughlins?«, warf sie ein, bevor Màiri fortfahren konnte. »Es wundert mich, dass dein Bruder ihn nicht längst entdeckt und verhaftet hat.«
Màiri lachte hell auf, sie schien Joans Äußerung sehr spaßig zu finden. »Die MacGonners sind ein befreundeter Clan und haben somit das Recht, in unseren Wäldern zu jagen, genauso umgekehrt auch. Und so war es auch bei Mìcheal gewesen; er hatte einen Hirsch verfolgt. Das erzählte er mir später, als ich mich wieder etwas gefangen hatte und ruhiger atmen konnte.« Ihre Augen glänzten plötzlich, und das kam nicht vom Kaminfeuer. »Wir saßen zusammen im Gras, und Mìcheal gestand mir, dass er jemanden singen hörte, als er der Spur des Hirsches folgte und dann mich entdeckte, wie ich vor dem Broch kniete und Blumen in meinen Korb legte. Dabei muss ich gesungen haben, ich habe keine Erinnerung mehr daran.«Es war behaglich in der Kammer, und immer, wenn Màiri mit ihrer sanften ruhigen Stimme erzählte, hörte es sich an, als würde sie eine Geschichte vorlesen.
Joan räusperte sich und sagte leise: »Ich spüre, dass dieser Mann dein Leben durcheinander gebracht hat.«
»Das hat er. Aber er hat es auch viel lebenswerter gemacht. Höre, wie es weiterging: Mìcheal verriet mir, dass er mir wie gebannt zugesehen hatte und seinen Blick nicht von mir lösen konnte. Dann tauchte der Strauchdieb auf, und Mìcheal sah sich gezwungen, einzuschreiten, dabei hatte er mich eigentlich nur beobachten und mir zuhören wollen. Er meinte, er hätte mir stundenlang zusehen können.« Verlegen senkte Màiri den Kopf. »Schon da spürte ich, dass uns das Schicksal zusammengeführt hatte und ich Mìcheal wiedersehen musste, um jeden Preis! Er blickte mir tief in die Augen, und dabei hatte ich das Gefühl, dass mein Herz zerspringt.« Sie seufzte. »Ich war zum ersten Mal in meinem Leben verliebt, vorher wusste ich nicht, wie schön Liebe sein kann. Hast du schon einmal einen Mann mit allen Fasern deines Herzens geliebt, Seonag?«
»Hm ...« Joan zögerte. Sie war schon öfters verliebt gewesen – zumindest hatte sie das gedacht. Aber wenn die Beziehung zu Ende gewesen war, hatte sie immer sehr schnell gemerkt, dass die Liebe nicht allzu groß gewesen sein konnte, weil sie keinem Mann eine Träne nachgeweint hatte. »Nein, jedenfalls nicht so sehr, dass ich für einen Mann alles tun würde.«
»Das ist jammerschade, verliebt zu sein ist das schönste Gefühl, das es gibt.«
Joan verkniff sich ein Schmunzeln, als sie erwiderte: »Ich habe davon gehört. Hast du Mìcheal gesagt, dass du verheiratet bist?«
»Aye, aber erst bei unserem zweiten Treffen. Für ihn brach eine Welt zusammen, und er wollte mich nicht wiedersehen, um meine Ehe nicht zu gefährden; erst, als ich ihm von den Umständen meiner Heirat mit Tèarlach erzählte, wurde er versöhnlicher. Seitdem treffen wir uns heimlich am Broch, obwohl wir nicht wissen, wie es weitergehen soll.«
Nachdenklich kaute Joan eine Weile
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