Im Bann des Highlanders
auch wegen der inneren Anspannung. Sie tat es Màiri gleich und raffte ihre Röcke, bevor sie über dicke, vermoderte Laubteppiche, Wurzeln und kleine Sträucher stiegen.
Plötzlich blieb Joan abrupt stehen und reckte das Kinn in die Höhe. Mit belegter Stimme fragte sie: »Hörst du es?«
»Nein, was meinst du?« Màiri folgte Joans Blicken nach oben. »Was hörst du?«
Das Summen war nur ganz schwach zu erkennen, doch es war eindeutig da! Exakt das gleiche Geräusch, begleitet von einem kaum wahrnehmbaren Vibrieren des Bodens, hatte Joan vernommen, als sie, angezogen von Ceanas lockender Stimme, wie in Trance durch den Wald gestolpert war – vermutlich an derselben Stelle, auf der sie sich in diesem Augenblick befand.
»Wir sind auf dem richtigen Weg«, murmelte Joan, dabei konnte sie das Zittern in ihrer Stimme nicht verbergen. »Das Grab muss sich ganz in der Nähe befinden.«
»Aye, wir müssen bald dort sein«, versicherte ihr auch Màiri, deren Stimme ebenfalls ergriffen klang. Aus Joans Erzählungen wusste sie von dem eigenartigen Summen, das die Engländerin tief in den Wald hinein gelockt hatte, daher fragte sie nicht länger, sondern setzte ihren Weg fort.
Joan achtete nicht mehr auf ihre Umgebung, ihr Blick war auf einen fernen Punkt im Dickicht gerichtet. Ihr Atem ging schwer, wie beim ersten Mal, als sie sich in der Nähe des Erdlochs befunden hatte, und sie fühlte sich magisch angezogen von dem gruseligen Ort, an dem ihre Urahnin ums Leben gekommen war. Als Màiri, die noch immer voranging und den Arm hob, blieb Joan wie auf Kommando stehen.
»Dort drüben ist es«, flüsterte Màiri, ihre Miene war fast ehrfürchtig auf eine kleine freie Stelle zwischen den dicken Baumstämmen gerichtet. Aus der Entfernung konnte man nicht erkennen, was sich an diesem Ort verbarg, doch als sie näher traten, sahen sie die morschen, verfaulten Holzbohlen, die teilweise von Laub bedeckt waren.
Joan schluckte kräftig, das Summen in der Luft hatte sich verstärkt, war jedoch nicht so durchdringend wie bei der ersten Begegnung mit der Grube.
»Vielleicht solltest du besser nicht bis ganz zum Grab mitgehen, es könnte gefährlich für dich werden«, gab Joan zu bedenken, doch die Schottin dachte gar nicht daran, Abstand zu halten.
»Oh, ich habe keine Angst«, sagte sie mutig und folgte Joan bis an den Rand der Grube. Vorsichtig knieten beide nieder und spähten durch den breiten, klaffenden Spalt ins Innere des Erdlochs. Just in diesem Augenblick bahnte sich die Sonne ihren Weg zwischen den Baumkronen hindurch und erhellte mit ihren Strahlen für einen kurzen Moment die Grube; wie reinstes Elfenbein schimmerten Ceana Mathesons Gebeine im Sonnenlicht.
»Gütiger Himmel!«, entfuhr es Màiri. »Das ist der endgültige Beweis, dass du nicht die Hexe sein kannst.«
Erstaunt blickte Joan hoch. »Hast du etwa bis jetzt daran gezweifelt?«
»Ein wenig schon«, gab Màiri widerstrebend zu. »Diese ganze Geschichte von der Zeitreise klang etwas unwahrscheinlich, aye?«
»Und trotzdem hast du mir geholfen?«
Màiri hob lächelnd die Schultern. »Ich habe dir einfach vertraut.« Wieder ernst geworden, erhob sie sich und sagte traurig: »Es ist Zeit, Abschied zu nehmen, Seonag.«
Auch Joan stand unbeholfen auf, und für die nächsten Minuten ignorierte sie das inzwischen durchdringende, zirpende Geräusch. Schweigend standen sich die beiden so unterschiedlichen Frauen gegenüber, die das Schicksal zusammengeführt hatte und nun wieder trennte.
Sanft ergriff Màiri die kalten Hände ihrer Freundin: »Ich werde dich niemals vergessen, niemals. Du wirst mir fehlen, und nicht nur mir, mon ban-charaid ... auch Ewan wird dich vermissen. Er hat dich sehr gern, weißt du?«
Überraschung machte sich in Joans Gesicht breit. »Hat er das gesagt?«
»Nein, natürlich nicht.« Màiri setzte ein geheimnisvolles Lächeln auf. »Dazu ist er zu stolz, aber er muss mir nichts sagen, in kann in seinen Augen lesen, das habe ich dir doch schon immer gesagt. Und wir haben oft über dich geredet.«
Joan nickte stumm.
»Wirst du hin und wieder auch an uns denken?«, fragte Màiri mit dünner Stimme und ließ langsam Joans Hände los.
»Ja, das werde ich, ganz sicher.« Sie schielte misstrauisch zur Grube. »Falls es für mich ein Erwachen nach dem Abstieg gibt.«
»Noch ist es nicht zu spät, Seonag. Du kannst immer noch mit mir zur Burg zurückkehren und ...«
»Nein«, unterbrach Joan sie heftig. »Ich bin hier nicht in meiner
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