Im Bann des Highlanders
über das fein gewebte Tuch.
Sie wollte nicht glauben, dass diese Relikte der Vergangenheit kein Traum waren und berührte das weiße Unterkleid aus leichtem Leinen.
Joan schluckte hart, dann nahm sie den dunklen Wollrock auf und sah dabei aus den Augenwinkeln, dass etwas zu Boden fiel. Ungläubig starrte Joan auf die rote, inzwischen getrocknete Blume, griff vorsichtig danach und roch daran; noch immer duftete sie ganz schwach.
Trocken schluchzte Joan auf. Die Blume hatte ihr Ewan geschenkt, und das war kein Traum gewesen. Aus Träumen brachte man weder Kleidungsstücke noch persönliche Geschenke mit in die Wirklichkeit.
Mit geschlossenen Augen saß Joan mitten in ihrem hochmodernen Schlafzimmer, presste die Blume vorsichtig an ihre Wange und hauchte: »Ewan ... mein Gott, es hat ihn wirklich gegeben.«
Und nun tauchte allmählich die Erinnerung an ihre Zeit auf der Burg der MacLaughlins wieder auf, die sie über viele Stunden so erfolgreich verdrängt hatte. Tränen tropften auf die Blume und die Kleidungsstücke, die Màiri ihrer englischen Freundin überlassen hatte, doch das merkte Joan gar nicht.
Ihre Gedanken glitten zurück in die kleine Kammer, zu der sanften Màiri und zu Ewan, dem stolzen Highlander. Dabei dachte sie nicht an die teilweise hitzigen Dialoge mit ihm, sondern an die kurze, zauberhafte Zeit vor dem Kamin, in der sie um ein Haar mit ihm geschlafen hätte.
Joan bog den Kopf mit geschlossenen Augen zurück, als würde sie im Geiste noch einmal Ewans Küsse und Zärtlichkeiten erleben. Ihr Inneres zog sich schmerzhaft zusammen, als sie daran dachte, dass dieser Mann schon seit über zweihundert Jahren tot war!
»Nein!«, rief sie mit tränenerstickter Stimme in die Stille hinein. Sie wollte sich nicht damit abfinden, dass Ewan MacLaughlin nicht mehr lebte und sie nie wieder einen Blick aus seinen hellen blauen Augen auffangen würde.
Wieder blickte sie auf die vertrocknete Blume in ihrer Hand und drückte sie schließlich an ihr Herz. Dieses unscheinbare Blümchen, dessen Namen sie noch nicht einmal kannte, war das einzige Andenken an den Mann, den sie liebte.
Ja, sie liebte Ewan, das wurde ihr in diesem Augenblick bewusst. So glasklar bewusst, dass ihr Herz so schwer wie ein Stein wurde.
Joan kniete vor dem Kleiderhaufen. Vor ihren Augen erschien Ewan, wie er sich langsam über sie beugte, Zärtlichkeiten in ihr Ohr flüsterte und seine großen, jedoch sanften Händen über ihre Brust kreisen ließ.
Und dann hatte Joan wieder Màiris Worte im Ohr, als sie sich an Ceanas Grab verabschiedete. ‚Auch Ewan wird dich vermissen, er hat dich sehr gern.’ Und ‚Ich kann in seinen Augen lesen.’
Mit dem Handrücken fuhr sich Joan über die tränennassen Wangen, dabei schniefte sie laut vernehmlich. Leise sprach sie Màiris Worte nach: »Noch ist es nicht zu spät, wir können zur Burg zurückkehren ...«
Nun war es zu spät, Joan war zurück in ihrer Welt und musste sich daran gewöhnen, dass der Mann, nach dem sie sich verzehrte, schon längst nicht mehr am Leben war.
Irgendwann spürte Joan ein unangenehmes Kribbeln in den Beinen und erhob sich, um die Blutzirkulation wieder in Gang zu bringen. Die rote Blume legte sie vorsichtig auf das Glastischchen neben ihrem Bett – sie würde es ihr Leben lang sorgfältig aufbewahren.
Erst am nächsten Morgen legte Joan die Kleidungsstücke aus der Vergangenheit ordentlich zusammen und dann in ein Extrafach im Schrank.
Màiri, die junge Schottin, war Joan eine Freundin geworden, wie sie nie eine besessen hatte. Selbstlos, aufopfernd und mutig hatte sich Màiri gezeigt, als sie Joan aus dem Kerker – und somit vor dem sicheren Tod – gerettet hatte. Menschen wie die Tochter des Lairds of Glenbharr waren ihr bislang nicht begegnet. Im Jahre 2005 dachte jeder nur an sich, wurde Joan auf einen Schlag klar.
Sie erinnerte sich an die Gefühle und Sehnsüchte der vielen einsamen Stunden im Kerker und später in der kleinen Webkammer. Und nun, da sie wieder in ihrer sicheren, modernen Welt lebte, fühlte sich Joan plötzlich unendlich einsam – viel einsamer als im Jahre 1731.
Zum ersten Mal nach ihrer Rückkehr betrachtete Joan ihre Hand- und Fußgelenke; noch immer waren schwach die Abdrücke zu sehen, die die groben Fesseln der Wegelagerer verursacht hatten.
Joan war froh, Urlaub zu haben, denn es zog sie noch nichts in die Agentur zurück, zunächst musste sie das Erlebte wirklich verarbeiten. Aber würde es ihr jemals gelingen, die
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