Im Bann des Nebels, 2, Der ewige Bund (German Edition)
wurde dunkel. Auf den Bergen leuchteten die blauen Lichter auf, und allmählich hörte es auf zu schneien. Wolken trieben über den Himmel wie eine endlose Herde riesiger dunkelgrauer Tiere. Vielleicht steckten ja sogar die Wolken in dieser Welt voller Geister? Sonja fragte Elri, die es nicht wusste, aber für möglich hielt, zum Himmel hinaufschaute und ganz beiläufig sagte: »Da ist ein Stern.«
Sonja blickte hoch. Tatsächlich, da blinkte ein weißer Stern durch die Wolkendecke! Und noch während sie hinschaute, entdeckte sie noch einen, zwei, drei, ein ganzes Dutzend. Die dichte Wolkendecke löste sich in einzelne Felder auf, die rasch über den schwarzen, sternfunkelnden Himmel davonzogen. Es wurde noch kälter, und Sonja zog fröstelnd ihren Umhang enger um die Schultern.
Dann ging der Mond auf. Und wieder war es Vollmond, wie damals bei Sonjas erster Reise nach Parva, doch diesmal nicht tiefrot, sondern so strahlend weiß, dass er die verschneiten Berge in schimmerndes blaues Licht hüllte. E r war dreimal so groß wie der Mond zu Hause, und die Berge und Schluchten auf seiner Oberfläche formten ein fremdes Muster, kein Gesicht. Kaum etwas in dieser Welt machte Sonja so deutlich klar, dass sie weit weg von zu Hause war.
Arunas Zeichen, sagte Nachtfrost. Jetzt können wir gehen.
Sonjas Herz hämmerte bis zum Hals. Sie verabschiedete sich von Beyash, Nalar und Schatten, die sie hier zurückließen. Wenn alles gut ging, würden sie später alle zusammen von hier aus weiterreiten. Wenn nicht … nein, daran wollte sie nicht denken! Die Pferde schnupperten neugierig an ihr und hofften auf Leckerbissen, aber leider musste sie sie enttäuschen. Dann holte sie tief Luft, marschierte zu Nachtfrost zurück, griff in seine Mähne und landete auf seinem Rücken. Elri schwang sich auf Wurzels Rücken, und sie schauten sich nach der Schattenkatze um, aber sie war verschwunden. Sonja versuchte, nicht enttäuscht zu sein, und als sie sich an die Narben in Lorins Gesicht erinnerte, fiel es ihr dann doch ziemlich leicht.
Und so ritten sie los. Sonja überließ es Nachtfrost, den Weg zu finden. Sie hielt sich nur fest und versuchte, keine Angst zu haben. Wie hatte sie nur einen so hirnrissigen Plan entwickeln können? Es würde nie funktionieren! Sie war verrückt! Um sich abzulenken, starrte sie den Mond an, der langsam über die Berge stieg, als ob er sie begleitete. War der Mond Aruna?
Nein , sagte Nachtfrost in ihren Gedanken. Aruna ist die Welt. Der Mond ist ihr Geschenk an die Völker der Nacht.
Vampire?, dachte sie in plötzlichem Schrecken.
Nachtfrost klappte die Ohren zur Seite und schnaubte leise, als ob er lachte. Taugeister und andere Wesen, die sterben, wenn das Licht der Sonne sie trifft. Und natürlich die Tesca.
T augeister? Das klang nicht sonderlich gefährlich. Eigentlich klang es sogar ganz hübsch. Und sie erinnerte sich wieder an das verzauberte Land, in dem sie Veleria getroffen hatte. Ein Land, in dem die gefährlichen Wurzler nichts weiter waren als im Sonnenlicht träumende Baumstümpfe und die bösen Gnome fröhlich und verspielt wie neugierige Kinder.
Kann es so nicht wieder werden?, dachte sie.
Nein, antwortete Nachtfrost . Wir gehen den richtigen Weg, um eine schreckliche Wunde zu heilen, aber wir können sie nicht ungeschehen machen.
»Wenn ich wenigstens das Amulett noch hätte«, flüsterte Sonja.
Nachtfrost antwortete nicht. Sonja schaute zum Mond hin. Arunas Zeichen … was wollte die Göttin von ihr? Bisher hatte sie nicht weiter darüber nachgedacht, aber war es wirklich wahrscheinlich, dass der Mond heute extra für Sonja Berger zwischen den Wolken hervorgekommen war? Oder konnte Nachtfrost nur besonders gut das Wetter vorhersagen? Gab es wirklich eine Göttin in dieser Welt, die lebte und atmete und sie, Sonja, unter ihren persönlichen Schutz gestellt hatte? Oder war sie doch nur ein Hirngespinst, eine Hilfskonstruktion, mit der sich die Menschen die Vorgänge in der Welt erklärten? Vielleicht redeten die weisen Frauen und die Tesca ja doch nur über den Willen einer Göttin, um Sonja für ihre eigenen Zwecke einzuspannen …
Ja und nein, sagte Nachtfrost, der ihren wirren Gedanken offenbar in aller Ruhe zugehört hatte. In diesem Spiel gibt es Mächte, die gegeneinander kämpfen und dich auszunutzen versuchen. Vertraue nicht jedem, nur weil er auf den ersten Blick freundlicher wirkt als der Spürer.
» Das ist aber nicht so einfach«, sagte Sonja beklommen.
Ich weiß.
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