Im Banne des stuermischen Eroberers
während Mary ihre Untersuchung rasch fortsetzte.
„Sein rechtes Bein scheint mir geschwollen zu sein, aber ich glaube nicht, dass es gebrochen ist“, erklärte die junge Heilerin.
„Er muss es sich verdreht haben, als er versucht hat, aus dem Weg zu springen“, murmelte Helen und drückte Hethe beklommen die Hand.
„Ist er ...?“ Willian brachte den Rest der Frage nicht über die Lippen.
„Nay, er wird wieder.“ Mary klang besonnen und zuversichtlich. Ihre Versicherung beruhigte Helen. Und offenbar auch William, der nun den Atem ausstieß, den er tatsächlich angehalten haben musste. Mitfühlend schaute Helen ihn an. Sie wusste genau, wie es ihm ging - auch ihr war die Luft weggeblieben. Wie merkwürdig, dass ich plötzlich etwas für den Mann empfinde, der da vor mir liegt, dachte sie erstaunlich nüchtern. Immerhin war er lange Zeit ihr Feind gewesen.
„Wir sollten ihn hineinschaffen“, sagte Mary mit einem Blick auf die Umstehenden.
Helen fiel auf, dass nicht einer aus der Menge vortrat, um sich der Sache anzunehmen und Hethe hochzuheben, wie es eigentlich zu erwarten gewesen wäre. Allerdings war keiner seiner Krieger in der Nähe, und von den Bediensteten und Leibeigenen, aus denen sich die Schar im Hof zusammensetzte, bot niemand seine Hilfe an. Helens Gemahl war nicht der Beliebteste auf Holden ... dank Stephen.
William schien dies nicht zu bekümmern. Er bückte sich, hob Hethe ächzend auf und trug ihn auf den Wohnturm zu.
Helen und Mary kamen auf die Beine und eilten ihm nach. Kurz vor dem Portal rannte Helen voraus, um einen der beiden Türflügel zu öffnen. Zu ihrer Erleichterung sprang auch Mary herbei und zog den anderen auf, sodass William nicht einmal langsamer werden oder sich verrenken musste, um Hethes schlaffe Gestalt hineinzutragen.
„Ich hole schnell, was ich zum Behandeln brauche, und komme dann nach“, rief Mary und verschwand.
Helen lief William voraus die Treppe hinauf, um ihm die Tür zum herrschaftlichen Schlafgemach zu öffnen. Der Ritter taumelte gleich hinter ihr in die Kammer und hielt geradewegs auf das Bett zu, wo er beinahe zusammenbrach. Erschöpft sank er auf die Knie und legte Hethe auf die Matratze.
„Danke, William“, sagte Helen. „Seid Ihr wohlauf?“
Um Atem ringend, nickte er und erhob sich langsam. Als Mary in die Kammer rauschte, trat er beiseite.
Helen ging der Heilerin so gut sie konnte zur Hand. Sie half, Hethe zu entkleiden und die beiden Kopfwunden vom Blut zu reinigen. Andere Verletzungen, die hätten verbunden werden müssen, schien er nicht zu haben. Soweit Helen es zu sagen vermochte, handelte es sich bei der Blessur am Bein lediglich um einen verstauchten Knöchel.
Als sie fertig waren, deckten sie ihn gemeinsam zu. Anschließend ließ Helen sich in bedrückter Stimmung auf der Bettkante nieder und hielt Hethe die Hand, während Mary etwas gegen die Schmerzen anrührte, das er trinken sollte, wenn er aufwachte.
Falls er aufwacht, dachte Helen und schalt sich für derlei düstere Gedanken. Vermutlich hatte sie sich noch vor einem oder zwei Tagen genau dies herbeigewünscht - dass Hethe eben nicht mehr aufwachte. Das wäre der Frau, die ihn nicht hatte heiraten wollen, durchaus zupassgekommen. Aber ihre Gefühle hatten sich gewandelt. Denn der Hethe, den sie nach und nach kennenlernte, hatte nichts mit dem „Hammer of Holden“ gemein, als den sie bislang zu kennen geglaubt hatte. Der Mann hier im Bett hatte all ihre recht hinterhältigen Versuche, der Ehe zu entgehen, mit Fassung getragen und sich, was Vergeltung anging, sehr zurückgehalten. Zumindest hatte er nichts getan, das sie, wie sie annahm, nicht verdient hatte.
Der „Hammer of Holden“ jedenfalls, jener Unhold aus den Geschichten, der grausame Bastard, der Kindern die Hände und Frauen die Brüste abschneiden ließ, hätte ihre Streiche gewiss nicht derart gelassen hingenommen. Als sie neulich beschlossen hatte, sich seinem Willen zu widersetzen, hatte sie sogar angenommen, damit ihr Leben aufs Spiel zu setzen. Doch er hatte sie kein einziges Mal geschlagen oder ihr auch nur Schläge angedroht.
Zudem war er ein zärtlicher und zuvorkommender Liebhaber. Der Mann, für den sie ihn gehalten hatte, hätte sich niemals so gegeben. Etwas stimmte hier nicht, und Helen war immer überzeugter davon, dass es in der Tat Hethes Kastellan war, der ohne Erlaubnis über die Stränge geschlagen hatte. Wenn sie allerdings an den jungen rothaarigen Burschen dachte, vermochte sie auch
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