Im Banne des stuermischen Eroberers
sich. „Dadurch neigt sich das Boot recht gefährlich.“
In seiner Stimme schwang Anspannung mit. Kein Zweifel, er war beunruhigt. Nach allem, was er ihr gestern angetan hatte, war es gut, nun seinerseits ihn ein wenig leiden zu sehen. Ein wenig mehr wäre noch schöner, entschied sie. Anstatt sich aufzurichten, wie er es sich gewünscht hatte, beugte sie sich tiefer über das Wasser. Das Boot neigte sich bedrohlich unter ihrem Gewicht, bis nur noch wenige Zoll die Kante von der Wasseroberfläche trennten. Lächelnd beobachtete Helen, wie Lord Holdens Züge sich verkrampften.
Die Zähne zusammengebissen, lehnte er sich zur anderen Seite und verdarb ihr damit den Spaß. Seufzend setzte Helen sich wieder gerade hin und blickte sich um. Waren Lord Holdens erste Ruderversuche tollpatschig gewesen, schien er allmählich ein Gefühl dafür zu bekommen. Sie glitten unter einem Baldachin aus Blättern dahin. Die Bäume, die den Fluss an beiden Ufern säumten, reckten ihre Äste übers Wasser, wodurch der Eindruck entstand, man befinde sich in einer Laube. Der Ort wäre ungemein romantisch gewesen, hätte nicht der Umstand gestört, dass Lord Holden bei ihr war.
Goliaths Bellen war es, das die Katastrophe ins Rollen brachte. Der Hund, der reglos und still im Boot gelegen hatte, rappelte sich mit einem Mal auf und spähte auf das vorbeiziehende Ufer. Helen entdeckte die schwimmenden Enten im selben Augenblick wie Goliath und war daher nicht vorbereitet, als er völlig aus dem Häuschen geriet. Aufgeregt bellend sprang er auf und tobte zunächst nach rechts und dann nach links. Schließlich verharrte er und stemmte sich mit den Vorderpfoten auf den Rand des Kahns, als wolle er sich auf die Vögel stürzen. Das wiederum versetzte die Enten in Aufruhr - sie quakten lautstark und flatterten auf.
„Goliath! Nicht!“, rief Helen und konnte sich ob des Geschehens noch nicht einmal an Lord Holdens plötzlich grünlichem Gesicht erfreuen. Der Hund brachte das Boot so bedrohlich ins Schaukeln, dass selbst ihr bange wurde. Sie wollte gerade aufstehen, um Goliath zu beruhigen, als dieser herumwirbelte und in ihre Richtung stürzte. In seiner Kopflosigkeit lief er mitten in sie hinein, sodass sie im schwankenden Boot das Gleichgewicht verlor, über Bord ging und sich im eiskalten Wasser wiederfand. Goliath bellte, Lord Holden schrie, und Helen kreischte aus voller Kehle. Dann schwappten die Wellen über ihr zusammen und hüllten sie in Stille.
Gleich darauf tauchte sie heftig hustend auf und spuckte das Wasser aus, das ihr in den offenen Mund gedrungen war.
Die Eingebung traf sie wie ein Blitz. Noch immer hustend und spuckend, ließ sie sich wieder sinken und schlug mit den Armen um sich, um überzeugender zu wirken. Sofort kam sie zurück an die Oberfläche und rief schwach um Hilfe, ehe sie erneut untertauchte. Sie wartete einige Herzschläge lang, steckte abermals den Kopf aus dem Wasser und starrte flehentlich zu Lord Holden hinüber, der mehrere Fuß entfernt im Boot saß und mit einem eigentümlichen Ausdruck zusah, wie sie umherplanschte.
Herausfordernd reckte Helen das Kinn. „He, Ihr Flegel, ich ertrinke. Wollt Ihr mich nicht retten?“
Sie sah die Lippen ihres Verlobten verdächtig beben. Er wies auf einen Punkt hinter ihr. Helen fuhr herum und erblickte Goliath, der den Enten nachjagte, die quakend aufstoben, wann immer er sich ihnen näherte. Das Wasser reichte ihm gerade einmal bis zu den Schultern. Dank Goliath hatte sie Lord Holden nicht einen Augenblick lang narren können.
Als Lord Holden loslachte, richtete sie sich zähneknirschend auf. Natürlich war sie völlig durchtränkt. Ihr Gewand war schwer vor Wasser, das Haar klebte ihr an Kopf und Schultern, und zudem fror sie. Ihre Würde lag in Scherben. Grimmig hob sie den Kopf und watete aus dem Fluss, wobei ihr der Rock um die Beine klatschte und ihre Schühchen bei jedem Schritt ein schmatzendes Geräusch machten.
„Helen! Was ist geschehen? Bist du wohlauf?“
Helen verharrte auf dem Weg zur Treppe, die hinauf ins obere Stockwerk von Tiernay Castle führte. Wie hatte sie nur glauben können, sie könne sich in ihre Kammer stehlen, ohne dass irgendjemand von ihrer Demütigung erfuhr? Sie hätte es besser wissen müssen. Seit Lord Holdens Ankunft war einfach alles fehlgeschlagen. Wieso sollte es in dieser Angelegenheit anders sein? Natürlich mussten ihre Tante und Lord Templetun ausgerechnet jetzt in der Großen Halle sitzen. Sie schienen nur darauf
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