Im Bett mit
Schmerzen zu überwinden, in das sie sich verbannt fühlte.
Bis zuletzt suchte sie sich einen Rest von Selbstständigkeit zu bewahren. Mithilfe ihrer Krücken konnte sie sich, wenn es unbedingt notwendig war, immerhin noch etliche Schritte bewegen. Vor Beginn ihrer immer noch langen Arbeitsstunden sorgten Maurice und ihre treue Haushälterin Pauline, die sich Besuchern gegenüber oft als wahrer Zerberus erwies, dafür, dass sich alles, was sie brauchen mochte, in der Reichweite ihrer Krücken befand, sodass sie viele Stunden allein und unabhängig von aller Hilfe arbeiten konnte. Als sie nicht mehr imstande war, die Treppen zu bewältigen, erfand Maurice eine Art von Sänfte, mit deren Hilfe zwei starke Männer sie über die Stufen tragen konnten. Ungeachtet aller Schwierigkeiten unternahm sie doch immer wieder Reisen, um mithilfe von anstrengenden Kuren eine Besserung ihres Leidens zu erzwingen. Monte Carlo, das Atlantik-Seebad Deauville, aber auch Genf waren die Schauplätze dieser vergeblichen Versuche, deren Misserfolge sie schließlich resignieren ließen. Dabei war es schon schwierig genug, derartige Reisen überhaupt zu organisieren. Allein ein Auto zu besteigen, bot schon Probleme, von den Strapazen der Flugreise gar nicht zu reden. Immerhin hatte sie einen elektrischen Rollstuhl, mit dem sie geringe Entfernungen bewältigen konnte.
Es lag an ihr, während ihrer Kuraufenthalte mit Freunden wie Jean Cocteau im Restaurant zu dinieren oder sich auch im Hotel zur Arbeit zurückzuziehen. Sie unterzog sich allen möglichen Experimenten, um ihre Arthritis in den Griff zu bekommen, war mit kleinsten Fortschritten schon zufriedengestellt, und musste doch immer wieder feststellen, dass alle Mühe vergeblich war. »Es ist ganz eigenartig, so zu leiden«, gesteht sie einem ihrer Freunde vor ihrer neuerlichen Abreise nach Monte Carlo; »unter uns gesagt, ich glaube nicht, dass es ganz und gar sinnlos ist. Aber verstanden habe ich es noch nicht.« Und Jean Cocteau schrieb in sein Tagebuch: »Maurice hat mit mir über Colette gesprochen, die Tag und Nacht leidet und dieses Leiden annimmt, weil es eine Lebensweise mit sich bringt, in der Maurice sie niemals allein lässt.«
Mit achtzig Jahren schrieb sie, es gebe kein Alter, in dem sie nicht das Bedürfnis gehabt habe, zu schreiben. Ihre Fähigkeit dazu blieb ihr auch in der letzten Phase ihres Lebens noch erhalten. Sie beschrieb ihre klein gewordene Welt und resümierte über die verschiedenen Stadien der Liebe: Liebe zu Männern, Liebe zu Frauen. Sie sei, sagte einer ihrer Bewunderer, die erste Frau gewesen, die in der Rolle des Subjekts den zum Objekt, und zwar zum Sexualobjekt gewordenen Mann geschildert habe. Sie, in deren Leben sich einst die Skandale reihten, wurde in ihrem entsagungsvollen, aber arbeitsreichen Alter zum Idol. Der Präsident der Republik ernannte sie zum Großoffizier der Ehrenlegion; doch sie war jetzt so weit, sich über die späten Ehrungen, die ihr zuteil wurden, mit milder Ironie lustig zu machen. Sie begann nicht nur von ihren Leiden, sondern auch von ihrem Tod zu sprechen. Ihre Gedanken kehrten immer öfter zu ihrer Kindheit zurück. Auf eine Fotografie ihres Geburtshauses kritzelte sie: »Dort würde ich auch gerne sterben«, ein Wunsch, der ihr nicht erfüllt wurde, denn das Haus war längst verkauft. In dem Jahr, das ihr letztes werden sollte, hatte sie für all die Bewunderung und die Ehrungen, die sie empfing, nur noch ein wehmütiges Lächeln übrig. »Momentan«, schrieb sie, »bin ich allzu empfindsam wegen der Männerhorde, die sich aufgemacht hat, um mit mir zu sprechen, mich zu umarmen, mir einzuschenken, mir einen Stern an den Busen zu heften … und dann – diese schönen Männeraugen, die mich durchbohrten, während ich ihnen dafür meinen allerzärtlichsten Großoffiziersblick schenkte.« Noch einmal lässt sie die Rolle ihres Lebens in ihrem Werk Revue passieren: »Wenn ich nun bei all dem, was Le Fleuron mein ›Gesamtwerk‹ nennt, eine Liebesgeschichte ausgelassen hätte, was würde ich jetzt mit diesem doch schließlich unerhört brauchbaren Stoff anstellen? Wo künftig lügen? Wo die Wahrheit eingestehen? Diese Frage würde ich mir stellen, hätte ich nicht schon seit langem in einer Weise, die der Wahrheit äußerst nahekam, zurückgehalten, was mein Leben in puncto Liebesbeziehungen aufzuweisen hatte. Ich war nur von dem Verlangen erfüllt, einen Mann zu erschaffen, der keinerlei Rivalen duldete, eine Frau, die in
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