Im blauen Licht der Nacht: Roman (German Edition)
gingen nur in die Blockhütte hinauf, um zu essen und zu duschen. Nachts befürchteten wir, von der Strömung mitgerissen zu werden, wenn es so weiterregnete. Der Fluss führte Hochwasser, hatte bereits mehrere tiefer gelegene Häuser überschwemmt. Er kam nur wenige Handbreit unter den Bodendielen des Bootshauses zum Stillstand.
An unserem letzten Abend saßen wir am Ende des Landungssteges und ließen die Beine bis zur Mitte der Wade im Wasser baumeln. Der Fluss war kalt nach dem Regen, trübe vom Schlamm und vom Sand, die flussabwärts getrieben waren. Obwohl der Regen aufgehört hatte, riss die Wolkendecke nicht auf. Das verhangene, lähmende Licht, das sich nur zum Schlafen eignet, würde vermutlich noch mehrere Tage anhalten. Geschlafen hatten wir genug und nun fühlte sich mein Körper schwer an, mein Gehirn umnebelt, meine Sinne abgestumpft.
»Ich habe eine Überraschung für dich«, sagte Amanda Ruth.
»Was denn?«
»Eine Reise.«
»Wohin?«
»Die Universität von Montevallo hat ein Austauschprogramm mit China, eine Partnerstadt namens Yibin am Oberlauf des Jangtse. Ich fliege nächsten Sommer hin. Ich möchte, dass du mich begleitest.«
»Das kostet ein Vermögen.«
»Ich habe alles genau durchgerechnet. Wenn wir beide nebenher arbeiten und ein Studentendarlehen aufnehmen, können wir es schaffen.«
»Wir fliegen ans andere Ende der Welt. Und wir sprechen kein Wort Chinesisch.«
Sie lachte. »Du findest am Hunter garantiert jemanden, der dir Einzelunterricht erteilt, und ich besorge mir jeman den in Montevallo. Ich wette, dass ich dich überreden kann. Bis Mai bist du Feuer und Flamme, das verspreche ich dir.« Ich sagte ihr nicht, dass mir die Chinareise genauso einleuchtend erschien wie eine Reise zum Mond.
Amanda Ruth wurde ernst. »Was ist mit uns beiden?«, sagte sie. »Gehen wir mit anderen aus?«
Die Frage kam mir merkwürdig vor, zwang mich, zum ersten Mal ernsthaft darüber nachzudenken, was aus uns werden sollte. Sie war meine beste Freundin, die Person, der ich blind vertraute, mit der ich am liebsten beisammen sein wollte. Doch ich hatte unsere Beziehung nie als etwas von Bestand betrachtet, so dauerhaft wie die zwischen Jungen und Mädchen sein konnte. Ich hatte angenommen, dass ich während meiner College-Zeit mit Männern ausgehen und mich verlieben würde, alles ganz »normal«. Die Männer, die ich in New York kennen lernen würde, würden sich mit Sicherheit von den linkischen, groben Burschen unterscheiden, die mir bisher über den Weg gelaufen waren. Sie würden einfühlsam und intelligent sein, über ein gewisses Maß an Weichheit verfügen, würden wissen, wie sie mich physisch befriedigen konnten. Ich hielt mich nicht für ein Mädchen, das auf andere Mädchen gepolt war. Ich liebte Amanda Ruth, das war alles.
Mehrere Minuten vergingen. Ein Ochsenfrosch quakte am gegenüberliegenden Ufer, der tiefe, unangenehme Laut hallte in der Stille wider. Der Mond stand tief und voll am Himmel, die Bäume warfen ihre Schatten auf den Fluss. Amanda Ruth rückte auf dem Landungssteg eine Spur von mir ab, so dass sich unsere Oberschenkel nicht länger berührten. »Du hast mir noch nicht geantwortet.«
»Darüber habe ich nie nachgedacht.«
»Ich habe kaum an etwas anderes gedacht.«
»Was ist gegen Verabredungen einzuwenden?«, sagte ich. »Findest du nicht, dass wir im College unseren Spaß haben sollten?«
»Haben wir das jetzt nicht?«
»Das ist etwas anderes.«
»Wieso?«
Ich konnte ihr nicht in die Augen sehen, mir fiel keine Antwort ein, die nicht völlig falsch klang. Amanda Ruth begann zu weinen. »Hab schon verstanden«, sagte sie.
»Da gibt es nichts zu verstehen.« Ich legte meinen Arm um ihre Schultern. Sie sträubte sich, doch nur einen Moment lang. »Du bist meine beste Freundin und ich deine. Wir hatten den ganzen Sommer für uns. Ist das nicht genug?«
In jener Nacht regnete es erneut, ein regelrechter Wolkenbruch ging nieder. Wir brachten frische Bettwäsche aus dem Blockhaus nach unten und rollten uns auf der alten Matratze im Bootshaus zusammen. Ich spürte, wie schwer die feuchte Luft auf uns lastete, als wir dort lagen, aneinander geklammert wie Schwestern oder Cousinen, und der Sintflut lauschten, bei jedem Blitz erschraken, der über den nachtschwarzen Himmel zuckte. Irgendwann schlief ich ein und träumte, dass wir uns bewegten, genau wie das fliegende Haus aus dem Zauberer von Oz , nur nicht durch die Lüfte, sondern flussabwärts, durch den Schlamm.
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