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Im blauen Licht der Nacht: Roman (German Edition)

Im blauen Licht der Nacht: Roman (German Edition)

Titel: Im blauen Licht der Nacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Richmond
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was?«
    »Der sich einbildet, du könntest auch etwas für mich empfinden?«
    »Darauf kann ich nicht antworten.« Die Nacht ist warm und schwül, ein Schweißtropfen rinnt an meiner Wirbelsäule hinab. Mein Herz beginnt zu rasen, mein Atem geht schnell. Ich habe Angst, etwas zu sagen, habe Angst, mich ihm völlig auszuliefern, wenn ich meine Empfindungen offenbare. Schließlich sehe ich ihn an. »Wie soll es weitergehen?«
    »Wir haben dreizehn Tage. Lass uns das Beste daraus machen. Natürlich ist da noch dein Mann. Er ist ein netter Kerl.«
    »Du meinst den netten Kerl, der gerade mit einer anderen Frau verschwunden ist?«
    »Ich möchte niemandem ins Gehege kommen.«
    »Er ist vor zwei Monaten ausgezogen.«
    »Freut mich zu hören, auch wenn es egoistisch klingt. War die Trennung abzusehen?«
    »Nicht wirklich. Eines Abends kam er spät nach Hause, stellte eine Tüte mit verschiedenen Gerichten vom Chinesen auf den Tisch und sagte: ›Unsere Beziehung ist am Ende.‹«
    Ich erinnere mich, wie leidenschaftslos Daves Stimme geklungen hatte, bar jeder Gefühlsregung. Als würde er mir mitteilen, die Zeitung sei heute Morgen nicht gekom men oder das chinesische Restaurant habe seine Preise erhöht. Was die ganze Sache noch verschlimmerte, war, dass ich aufgeblieben war und auf ihn gewartet hatte, in einem neuen Spitzennachthemd, um ihn nach allen Regeln der Kunst zu verführen. Falls er das Nachthemd bemerkte, ging er mit keinem Wort darauf ein. Ich frage mich, ob nicht das Nachthemd selbst ihn bewog, an jenem Abend einen Schlussstrich zu ziehen. Vielleicht wurde ihm bei seinem Anblick bewusst, dass ich versuchte, unsere Ehe zu retten; vielleicht machte ihm der Gedanke Angst.
    »Was hast du darauf gesagt?«
    »Nichts. Ich habe lediglich den Reis aus der Pappschach tel auf eine Servierplatte gekippt.« Wir saßen auf dem Sofa, sahen fern und aßen stumm. Conan O’Brien interviewte einen vierjährigen Jungen, der Kraft-Käse-Cracker so zurechtknabbern konnte, dass sie den Umrisslinien aller fünfzig amerikanischen Bundesstaaten glichen.
    »Die Chinareise war nicht seine Idee, ich habe ihn gebeten, mich zu begleiten. Es gelang mir, ihn zu überzeugen, dass wir einen letzten Versuch unternehmen soll ten, unsere Beziehung doch noch zu retten.« Mir ist elend, als ich mich daran erinnerte, wie ich Dave eines Abends unangemeldet in seiner Wohnung auf der anderen Seite des Parks aufgesucht hatte. Ich sah verhärmt aus, eine Folge des Schlafmangels. Ich saß länger als eine Stunde auf dem Sofa, umklammerte seine Hand und betete eine Litanei von Gründen herunter, die dafür sprachen, dass wir uns gemeinsam bemühten, die Probleme in den Griff zu bekommen. Ich wollte wissen, ob er mich noch liebe. Er schwieg, zwei geschlagene Minuten lang. Ich weiß, dass es zwei waren, weil ich auf die Uhr sah und der Minutenzeiger mit unerträglicher Langsamkeit auf dem weißen Zifferblatt vorrückte. »Ja«, antwortete er schließlich.
    »Dann schuldest du uns einen letzten Versuch, findest du nicht?«
    »In Ordnung«, räumte er ein. »Doch ich kann nichts versprechen.«
    Ich schildere Graham die Szene. Er hört schweigend zu. Am Ende der Geschichte stelle ich überrascht fest, dass ich über die Vorstellung lache, wie ich dort auf dem Sofa saß, eine halbe Packung Kleenex verbrauchte und bettelte. »Erniedrigend.«
    »Und was ist mit diesem letzten Versuch, deine Ehe zu retten? Funktioniert es?«
    »Hin und wieder ergreift Dave die Initiative, sieht mich auf bestimmte Weise an oder macht eine Bemerkung, die mich glauben lässt, dass ihm doch noch etwas an mir liegt. Dann geht er jedoch wieder auf Distanz und ich spüre, dass es keine Hoffnung für uns gibt. Vielleicht fehlt uns etwas, was andere verheiratete Paare haben. Ich weiß allerdings nicht, was das sein sollte.«
    »Wenigstens habt ihr es versucht. Das ist doch schon etwas.«
    »Warst du jemals verheiratet?«
    »Ungefähr zehn Minuten lang, mit fünfundzwanzig.«
    »Was ist passiert?«
    »Ich war egoistisch, was Zeit und Raum für meine persönlichen Belange anging. Und meine Reisen. Ich reiste für mein Leben gerne und wollte mich nicht einengen lassen. Ich war gerne alleine. Das Single-Dasein kam mir optimal vor, bis vor nicht allzu langer Zeit. Als ich krank wurde, sehnte ich mich nach jemandem, der zu mir gehört. Vielleicht wäre es besser gewesen, mir schon vor langer Zeit jemanden zu suchen, mich häuslich niederzulassen. Dann wäre sie jetzt bei mir. Ich müsste mich

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