Im blauen Licht der Nacht: Roman (German Edition)
zaundürren Frau namens Ramona, die roch, als wäre sie seit zwanzig Jahren Kettenraucherin. ›So, Schätzchen, jetzt zählst du bis drei und dann werde ich dir dieses Ding unter den Allerwertesten schieben‹, sagte sie. Das war ein Trick. Bei zwei riss sie meine Hüfte hoch und schob die Röntgenplatte darunter. Dann drückte sie mein Becken nach unten und betätigte den Auslöser. Das war hundertmal schmerzhafter als der Sturz vom Pferd. Ramona machte zwölf Röntgenauf nahmen und jede schien ewig zu dauern. Das sind die schlimmsten Schmerzen, die ich jemals erlebt habe. Seither gab es nichts mehr, was sich auch nur annähernd damit vergleichen ließe.«
»Die Geschichte höre ich heute zum ersten Mal«, sagt Dave.
»Ist ja auch lange her.« Ich beiße in ein Dampfbrötchen mit Lotosmus. Die kernige Füllung ist ekelhaft süß und klebrig.
Graham wendet sich an Stacy. »Jetzt sind Sie an der Reihe.«
»Mir ist noch nie etwas Schlimmes widerfahren.«
»Das nehme ich Ihnen nicht ab. Irgendwann in Ihrem Leben haben Sie doch sicher Schmerzen gehabt.«
»Ehrlich. Mein Leben ist völlig ereignislos verlaufen.«
»Dann erfinden Sie doch etwas«, schlägt Dave vor.
Stacy blickt sich unsicher am Tisch um. Alle Blicke sind auf sie gerichtet. »Na gut. Ich werde eine Geschichte erzählen, eine von Anfang bis Ende erfundene. Ich lasse meiner Fantasie freien Lauf.«
»Umso besser«, sagt Graham.
Sie holt tief Luft. »Das Schlimmste, was ich je erlebt habe, waren die Schmerzen während der Entbindung. Das ist ein paar Jahre her. Ich hatte nicht aufgepasst, war in schlechte Gesellschaft geraten, jede Menge Drogen und noch mehr Alkohol. Als meine Periode ausblieb, war mein Freund von der Bildfläche verschwunden.«
Sie zupft an ihren Fingernägeln, blickt keinen von uns an. »Ich bin also in der Klinik, habe seit ungefähr achtzehn Stunden Wehen und nichts passiert. Ich will nur noch eins, dass endlich Schluss ist. Ich bin überzeugt, dass ich bei der Geburt sterben werde. Die Schwestern im Kreißsaal, die Geburtshilfe leisten, reden mir gut zu, ich soll mich entspannen, richtig atmen, mich nicht verkrampfen, und meine Mom ist bei mir, hält meine Hand, versucht, mir Mut zu machen, doch ich habe ein Schmerz mittel erhalten und sie denkt, dass ich nicht mitbekomme, was sie zu der Schwester sagt: ›Ich begreife nicht, wie sie in diesen Schlamassel geraten konnte.‹ Ich begreife es selber nicht und denke an Jimmy und sein verdammtes Ducati Motorrad, und wie wir auf seiner Dukati die ganze Strecke von Detroit nach St. Louis fuhren, in schä bigen Absteigen schliefen, die reinsten Stundenhotels, und Heroin spritzten und keinerlei Verhütungsmittel benutzten, weil wir gar nicht auf die Idee kamen, weil keiner von uns beiden lange genug zu leben glaubte, dass solche Überlegungen noch eine Rolle spielten. Endlich steht die Geburt unmittelbar bevor. Ich weiß, dass es so weit ist, weil die Schwestern laut durcheinander reden, einer Panik nahe, und meine Mom einen hysterischen Anfall bekommt. Das Baby hat sich nicht gedreht, hat nicht die richtige Lage für den Eintritt in den Geburtskanal und ich höre, wie eine Stimme sagt: ›Wir müssen einen Kaiserschnitt machen.‹ Und dann stülpen sie mir eine Maske über Mund und Nase und das Gesicht meiner Mutter verblasst und alles verschwimmt vor meinen Augen und wird blau, mir ist, als befände ich mich auf dem Grund eines Schwimmbeckens. Als ich wieder zu mir komme, ist das Baby da und meine Mutter starrt die Kleine an, als käme sie von einem anderen Stern.«
Stacy weint, sie wischt sich das Gesicht mit dem Handrücken ab. »Ich sage zu der Schwester, dass ich das Baby auf den Arm nehmen will, und meine Mom sagt ›Schätzchen, das haben wir doch alles besprochen‹. Ich bestehe darauf und die Schwester reicht es mir und ich staune über dieses Lebewesen, so klein und vollkommen, das überhaupt nicht so kaputt aussieht, wie ich befürchtet hatte, das gar nicht so aussieht, als wäre es von mir. ›Ich möchte sie nur ein paar Tage bei mir behalten, sie ist doch noch so klein‹, sagte ich. ›Bitte.‹ Ich spielte mit dem Gedanken, sie mit nach Hause zu nehmen, in das Haus mei ner Mutter, und sie in ein Kinderbettchen zu legen. Ich wollte sie natürlich nicht für immer behalten, meine Eltern und ich hatten bereits darüber gesprochen, dass ich zu jung war, mein eigenes Leben auf die Reihe bringen sollte und so. Doch ich dachte, wie schön es sein müsste, sie bei mir zu
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