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Im blauen Licht der Nacht: Roman (German Edition)

Im blauen Licht der Nacht: Roman (German Edition)

Titel: Im blauen Licht der Nacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Richmond
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an einem Sommerabend, den ureigenen Schlick auf dem Grund des Demopolis River. Dieser Fluss unterschied sich vom glitschigen, mit Algen bewachsenen Grund des Dog River oder dem von Krebsen aufgewühlten Schlamm rund um Petite Bois Island oder dem weißen feinkörnigen Sand der Golfküstenregion. Wer aus Greenbrook stammte, hatte das Gefühl, etwas ganz Besonderes zu sein.

13
    Jeden Tag schaue ich, sobald es aufhört zu regnen, zum Himmel empor. Er sieht weich aus, eine niedrig hängende, samtige, silberweiße Wolkendecke, von Furchen durchzogen, wie frisch umgepflügter Schnee. Manchmal reißen die Wolken auf und dann taucht einen Moment lang die Sonne auf, ein erstaunlich flammendes Licht über der Dunkelheit des Flusses. Doch meistens ist das Schiff in Dunst gehüllt und man sieht nicht weit. Im Nebel auf dem Fluss treibend, ohne Land oder andere Boote in Sicht, könnten wir uns überall befinden, erscheint uns China wie ein ferner Traum.
    Am neunten Tag der Kreuzfahrt ertönt schon in den frühen Morgenstunden Die Stimme über Lautsprecher. »Wir haben kleine Problem mit Boot. Bitte versammeln in Jangtse-Raum.« Als Dave und ich eintreffen, wimmelt es dort bereits von Touristen, die einer Panik nahe sind. Die Reiseleiter schwenken ihre Wimpel, erteilen Anordnungen, sie sind um Schadensbegrenzung bemüht. Jane Madonna, Chef-Animateurin, steht in der Mitte der Tanzfläche, die normalerweise tadellose Frisur zerzaust, die Uniform leicht verrutscht. Sie spricht in ein Megaphon. »Wenn alle sitzen, geht los.«
    Nach einer Viertelstunde Chaos übernimmt Elvis Paris das Regiment. »Wir haben kleine Problem mit Boot«, sagt er. »Vielleicht nicht Abendessen in Wuhan.« Die flimmernde Diskokugel dreht sich langsam über seinem Kopf und überschüttet ihn mit dreieckigen bunten Lichtflecken.
    Ganz allmählich, nach langem Herumdrucksen seitens der Besatzung erfahren wir, dass der Motor Probleme macht. Wir haben den Anker ausgeworfen, um zu verhindern, dass uns die Strömung wieder zurück, flussabwärts treibt. Eine Stimme in der Menge fragt ungehalten: »Wie lange werden wir hier festsitzen?«
    »Vielleicht ein Tag, vielleicht zwei, vielleicht drei«, erwidert Elvis. »Nicht Sorge. Wir vertreiben Zeit mit Spiele! Bitte eintragen für Turnier.« Die Reiseleiter lassen Klemmbretter und Kugelschreiber herumgehen. Sie gehen von einem zum anderen, drängen uns, bei Badminton, Tischtennis, Backgammon und Shuffleboard mitzumachen. Sie haben sogar einen »Video-Strip-Mahjongg«-Wettbewerb organisiert. Dave und ich hatten gleich an unserem ersten Abend an Bord das Vergnügen, Bekanntschaft mit diesem Spiel zu machen. Jedes Mal, wenn eine Mannschaft gewinnt, zieht die Zeichentrickfigur auf dem Bildschirm ein Kleidungsstück aus. Wir schafften es, sie bis auf BH und Slip zu entkleiden, bevor unsere Pechsträhne einsetzte.
    Mit sichtlich unzufriedenen Gesichtern zerstreut sich die Menge nach und nach. Dave reckt sich und gähnt. »Ich leg mich wieder aufs Ohr«, sagt er. Am anderen Ende des Raumes entdecke ich Graham in einem Sessel, der zu klein für ihn ist, den Ellenbogen auf einen Metalltisch gestützt.
    Als er mich sieht, lächelt er. »Wir sind gestrandet.«
    »Ich kann nicht behaupten, dass ich diesen Umstand bedaure.«
    »Wie das?«
    Ich ziehe mir einen Stuhl heran, hole ein Kartenspiel aus meiner Handtasche, ein Werbegeschenk der Fluggesellschaft, mische, teile für jeden sieben Karten aus und lege den Stoß mit der Vorderseite nach unten in die Mitte des Tisches. Er nimmt sein Blatt in die Hand und begutachtet es. »Also, warum?«
    »Dadurch bleibt mir mehr Zeit mit dir.«
    »Kluge Antwort.« Er konzentriert sich darauf, sein Blatt zu ordnen. »Was spielen wir überhaupt?«
    »Quartett.«
    Eine Stunde später, als wir durch die Gänge schlendern, gelangen wir an eine Tür mit einem von Hand geschriebenen Schild, auf dem es heißt »Eintritt verboten«. Graham dreht probeweise den Knauf und die Tür geht auf. Stühle sind meterhoch übereinander gestapelt und die Bar ist vol ler Staub. Auf dem Schiff gibt es überall solche Räume, die ohne ersichtlichen Grund leer stehen. Bisweilen hat man das Gefühl, sich auf einem Totenschiff zu befinden, als würde der Geist anderer, besserer Kreuzfahrten mit er lesenen Festen und eleganten Diners in den dunklen Ecken lauern und sich heimlich über uns lustig machen. Wir schleichen uns lautlos zu einer Vinyl-Sitzgarnitur in der Ecke. Eine Schale mit vertrockneten Ingwerstäbchen setzt

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