Im Bus ganz hinten
windelweich. Strafe, wem Strafe gebührt, dachte ich. Anis und ich sahen trotzdem zu, dass wir wegkamen.
Ich besuchte Anis oft bei ihm zu Hause in Marienfelde. Es war echt schön dort. Seine Mutter war wirklich ein Engel. Sie kochte für mich und wusch sogar meine Wäsche.
»Junge, wenn es dir mal schlechtgeht, dann sag Bescheid«, bot sie mir an. So viel Fürsorge war ich nicht gewohnt. Sie war die perfekte Mutter. Meine Ersatzmutter. Ich schloss sie sofort in mein Herz. Das Coole an Anis’ Kinderzimmer war, dass er sich ein Minitonstudio darin eingerichtet hatte, um seine Rap-Songs aufzunehmen. Für mich war das etwas absolut Neues. Hip-Hop hörte ich zwar schon die ganze Zeit, aber selbst Musik gemacht hatte ich noch nie.
»Ich zeig dir ein paar Beats«, sagte Anis und spielte mir seine Tracks vor.
»Mann, ist das cool«, dachte ich. Ich war sofort begeistert und nickte mit dem Kopf zum Takt.
»Komm, wir machen zusammen einen Song«, schlug er vor. Wie bitte? Ich sollte rappen? »Na klar«, ermutigte mich mein Kumpel. Meine Augen müssen in diesem Moment vor Freude gestrahlt haben. Ich schlug ein, und wir machten uns direkt an die Arbeit. Ich wusste überhaupt nicht, wie das ging, aber ich nahm mir einen Zettel und einen Stift und schrieb einfach drauflos. Die ersten Zeilen kamen ganz automatisch. Ich versuchte ein paar coole Rhymes zu machen. Das gelang mir zwar anfangs nur auf dem Niveau von »Haus-Maus-raus«, aber wie heißt es so schön: Jeder fängt mal klein an.
Anis feuerte mich an und machte auf seiner Beatmaschine, der MPC, die Musik dazu. Wir waren ziemlich schnell. Innerhalb von einer Stunde hatten wir einen Track geschrieben. Dann ging es los mit der Aufnahme: Ich rappte meine ersten Zeilen in das Mikrofon. Und es klang – total scheiße. Ich rappte viel zu hastig, kam nicht mit dem Beat mit. Aber es fühlte sich irgendwie geil an. Ich war jetzt Rapper – oder zumindest so was Ähnliches. Wieso war ich da nicht vorher drauf gekommen?
Ich war blutiger Anfänger, und Anis war mir in der Sache schon ein ganzes Stück voraus.
»Mach dir nichts draus. Ich mache das schon seit einem Jahr. Du musst halt üben«, riet er mir.
»Auf jeden Fall«, antwortete ich sofort.
»Wir können das zusammen durchziehen, wenn du willst. Aber du musst wissen, dass ich es unbedingt schaffen will. Ich meine das total ernst«, erklärte Anis. Ich nickte. Was genau er eigentlich meinte, war mir damals noch gar nicht klar. Aber das war eigentlich auch egal.
Wir trafen uns von da an jeden Tag, um Musik zu machen. Ich trainierte mich selbst, indem ich zu den Hip-Hop-Beats von Eminem rappte. Bei Anis zu Hause machten wir dann eigene Songs. Oft saßen wir so lange daran, dass ich gleich bei ihm pennte. Wir waren die dicksten Kumpels – total auf einer Wellenlänge. Nur wenn es um das Thema Klamotten und Styling ging, waren wir uns gar nicht einig. Eines Nachmittags kam ich mit einem nagelneuen Pullover der Marke Carlo Colucci an. Der Pulli war schwarz, und das Logo war vorn groß daraufgedruckt. Den hatte ich mir bei Peek & Cloppenburg für 250 Mark gekauft. Woher ich so viel Geld hatte? Das war meine Kohle vom Sozialamt. Gut auszusehen war mir wichtiger, als etwas zu essen auf dem Teller zu haben, also investierte ich in Klamotten.
»Was hast du denn da an?«, fragte Anis mich skeptisch, als er mich mit meinem neuen Teil sah. Ich antwortete stolz: »Carlo Colucci. Das wird der krasseste Trend in Berlin. Glaub mir.«
»Sieht irgendwie voll prollig aus«, fand er. Das sah ich anders. Der klassische Hip-Hop-Look war out. Hängende Hose auf halb acht konnte ich nicht mehr sehen. Ich war eben ein Styler.
»Wenn du durchstarten willst, dann wirst du etwas an deinem Aussehen verändern müssen«, erklärte ich ihm.
»Wenn du aussiehst wie alle anderen Affen, dann stichst du doch nicht raus!« Anis schüttelte nur mürrisch seinen Kopf.
Er bastelte erst mal fleißig weiter an seiner Rapkarriere. Er wollte eine eigene CDrausbringen. Durchs Internet hatte er schon Kontakte mit anderen Rappern aus Hannover aufgenommen. Sie schrieben sich die ganze Zeit und heckten gemeinsam ein Projekt aus.
»Ich fahr zu denen nach Hannover«, eröffnete Anis mir eines Morgens zum Frühstück. Er hatte gerade seine Lehre als Maler und Lackierer bei Meister Amrouche abgeschlossen, und deshalb war es für ihn der richtige Zeitpunkt durchzustarten.
»Kommst du mit?«, fragte er mich. Ich fand’s natürlich ziemlich geil. Hip-Hop statt
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