Im Club der geheimen Wünsche
in der Luft und in den Gesichtern der Mädchen. Während alle ihre Suppe löffelten, schaute Jane eine nach der anderen an. Die jungen Frauen erwarteten von ihr, dass sie sie verachtete, einfach nur weil sie entführt und zum Leben im Harem gezwungen worden waren.
Jane runzelte die Stirn. „Nach dem Essen werden wir musizieren", erklärte sie.
„Das finde ich schön." Das sanfte Murmeln kam von Philly, der schüchternen Blondine.
Mit finsterem Blick rührte Mary in ihrer Suppe. „Aber wo ist Lord ...?"
„Mary!", unterbrach der Rotschopf sie in scharfem Ton. „Willst du unbedingt Ärger haben?"
„Lasst uns die Mahlzeit beenden", bestimmte Jane.
Die Mädchen tauschten stumme Blicke und sprachen nur noch, wenn sie um eine der Platten mit Fleisch, Gemüse und Röstkartoffeln baten.
Die Einhaltung alltäglicher Rituale gab einem Menschen auch in schweren Zeiten Halt. Dennoch hatte Jane Angst, dass jeden Moment eine Katastrophe über sie hereinbrechen konnte. Und war diese angespannte Stille bei Tisch tatsächlich gut für die Mädchen? Oder war es besser, sie alle offen sprechen zu lassen?
Nach dem Essen scheuchte Jane die Mädchen ins Musikzimmer. Philly ging zum Klavier und betrachtete es sehnsüchtig. Sie wandte sich an Jane. „Würden Sie uns etwas vorspielen?"
„Ich spiele sehr schlecht", gestand Jane.
„Wie kann das sein?" Mary sah sie entgeistert an. „Sie sind reich."
Marys erstaunte Miene ließ Jane an ihre Mutter denken, deren Stimme nun in ihrem Kopf widerhallte.
Du kannst weder gut singen noch tanzen, du kannst nicht Klavier spielen, und wenn du mit einem Gentleman sprichst, bist du niemals liebenswürdig. Du musst dir mehr Mühe geben, du bemitleidenswertes Mädchen. Wie willst du denn eine gute Partie machen? Oder hast du vor, im Arbeitshaus zu sterben?
Aber Sherringham hatte ihr einen Antrag gemacht und behauptet, er möge sie so, wie sie war, was absolut nicht der Wahrheit entsprochen hatte ...
Hastig verdrängte Jane ihre Erinnerungen. „Ich liebe es, mir Noten anzusehen", erklärte sie. „Aber auf der Tastatur
...", sie ließ ihre Finger durch die Luft flattern, „sind diese Hände zu klein, um eine volle Oktave zu greifen."
Es fühlte sich seltsam befreiend an, ihr fehlendes Talent offen einzugestehen. Ohne sich dafür zu entschuldigen.
Ohne zu versprechen, sich noch mehr Mühe zu geben. Einfach nur die Wahrheit zu sagen.
Jane sah, dass Philly ihre Hände betrachtete. Sie lächelte das Mädchen an. „Und als ich erst einmal wusste, dass ich nicht so gut spielte, wie man es von mir erwartete, hatte ich zu viel Angst, um es noch länger zu versuchen."
Philly senkte den Kopf. „Ich habe immer Angst, dass ich falsche Töne anschlage und dann ausgelacht werde."
Jane legte den Arm um die Schultern der jungen Frau und drückte sie an sich. „Aber wir sollten uns nicht darum kümmern, wenn wir ausgelacht werden. Außerdem sollte niemand über uns lachen, wenn wir versuchen, unsere Fähigkeiten zu verbessern."
Sie wünschte sich, es wäre so einfach, wie es sich anhörte. Früher hatte sie die Kühnheit besessen, auf Christians Bemerkungen mit scharfer Zunge zu antworten, aber sie hatte nicht den Mut gehabt, vor anderen womöglich beim Klavierspiel eine falsche Note anzuschlagen.
„Ich kenne noch nicht alle eure Namen", bemerkte Jane.
„Aber wir wissen, wer Sie sind", erwiderte Mary. „Sie sind Lord Wickhams Mätresse."
Die anderen Mädchen schnappten erschrocken nach Luft. Philly schlug sich die Hand vor den Mund und stieß ein ersticktes „Mary!" hervor.
Einen Moment lang war Jane zu überrascht, um etwas zu sagen. Marys Behauptung war gleichzeitig wahr und unwahr.
Mary schob die Unterlippe vor. „Wir wissen, dass sie seine Geliebte ist, also ist es wohl kaum unmoralisch zu erwarten, dass sie es auch ausspricht."
„Sie ist eine Dame", flüsterte Philly hinter ihrer kleinen Hand. „So spricht man nicht mit einer Dame. Was, wenn Seine Lordschaft wütend wird deshalb und uns aus seinem Haus wirft? Was sollen wir dann machen?"
„Uns Beschützer suchen", erklärte Mary.
„Ich will keinen Beschützer", rief der Rotschopf aus. „Ich will einen Ehemann. Ich möchte Kinder und ein eigenes Haus."
„Jeder weiß doch, dass eine Mätresse ein schöneres Leben hat als eine Ehefrau", stellte Mary fest.
Jane ging ruhig zu Mary und sah dem Mädchen direkt in die Augen. „Ich verstehe, dass du wütend bist, verletzt und Angst hast. Doch das gibt dir nicht das Recht,
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