Im Dienste Der Koenigin
schlechten Gerüchen aller Art geschwängerten Entbindungsraum verlassen zu dürfen.
Nach alter Gewohnheit öffnete man nämlich kein Fenster in den Gebärzimmern, um die Wöchnerin und das neugeborene Kind nicht durch die »kalte Luft« zu gefährden. In Wahrheit war es ein überkommener, nicht auszurottender Geburtshelferinnenunsinn aus dem frühen Mittelalter, der auf der Vorstellung böser Geister beruhte, die in den Raum eindringen und dem Säugling und seiner geschwächten Mutter Schaden zufügen könnten …
KAPITEL 44
ANNA, DIE NACH den überstandenen Strapazen erschöpft vor sich hin gedöst hatte, fuhr erschrocken zusammen, als ein ohrenbetäubender Lärm an ihr Ohr drang. Dann verstand sie: Der König hatte den Befehl erteilt, den bei der Geburt eines Prinzen üblichen Salut zu schießen.
Die Menschen im Schloss und im Umland lauschten wie gebannt. Zwanzig Donnerschläge würden »nur« eine königliche Tochter verkünden. Als daher der einundzwanzigste Schuss mit einem Riesenknall hörbar wurde, fand der Jubel kein Ende.
Anna blickte zufällig auf ihren Schwager Gaston und bemerkte
sein verbittertes Gesicht. »Einhundertundzwanzig Salutschüsse für diesen abscheulichen, kleinen Wurm, mag er sich denken«, ging es ihr durch den Sinn. Die Königin ahnte seine abgrundtiefe Enttäuschung. Für ihn, den Oheim des Dauphins, war es in der Tat alles andere als ein Freudentag.
»Aber meine liebe Marie de Chevreuse wird sich ehrlich mit mir freuen, wenn ich ihr meinen Sohn präsentieren kann.« Sie konnte es kaum noch erwarten, ihre Vertraute in die Arme zu schließen. »Ich werde Seine Majestät vermutlich an sein Versprechen erinnern müssen«, dachte sie. »Ludwig neigt bei diesen Dingen nur allzu gern zur Vergesslichkeit.«
Die Brücke in Neuilly war derzeit wegen umfangreicher Ausbesserungsarbeiten nicht passierbar; so gab man ein vereinbartes Zeichen über die Seine in Richtung Paris. Von dort schwärmten königliche Kuriere in alle vier Himmelsrichtungen aus, um im ganzen Land die Freudenbotschaft zu verkünden.
»Wie eilig es die Boten hatten, die gute Nachricht in Frankreich bekannt zu machen, kann man daran sehen, dass einer der Männer die Stadt Toulouse, die mit der Postkutsche vier Tage entfernt von Paris liegt, am Abend des siebten September erreicht hat - also bereits zwei Tage später«, berichtete die meistens wohl informierte Gazette . Céleste hob fein säuberlich alle Artikel für Marie auf.
In der Schlosskapelle wurde der kleine Erdenbürger, um dessen Geburt sich so viele gesorgt hatten, vom Großalmosenier des Königs mit Weihwasser auf den Namen »Louis-Dieudonné«, also »Ludwig, der von Gott Gegebene«, getauft. Es war eine unspektakuläre Zeremonie - die »richtige« würde
man erst später mit großem Pomp in der Hauptstadt feiern. »Ludwig« war einer der am meisten Glück verheißenden Königsnamen in der bisherigen Historie Frankreichs.
Nach der schlichten Tauffeier in der Kapelle übernahm Madame de la Giraudière, Gattin des königlichen Statthalters im Schatzamt von Orléans, das Kind. Sie war von den Leibärzten des königlichen Paares als Amme ausgesucht worden.
Die Festlichkeiten anlässlich der Geburt eines gesunden Thronfolgers dauerten in Paris ganze sechs Tage. Das Volk feierte ausgelassen mit Gesang, Musik und Tanz auf den Straßen und Plätzen bis tief in die Nacht hinein.
Endlich gab es einmal einen Anlass zum Fröhlichsein! Die Reichen verteilten an die Armen Brot, Kuchen, Wein, Pasteten und Schinken. Der Adel wetteiferte, welches Palais mit der schönsten Festbeleuchtung geschmückt war.
Die Stadtverwaltung ließ zum Entzücken der Bevölkerung auf der Place de Grève ein riesiges Feuerwerk abbrennen und in Saint-Germain hatte man einen Obelisken mit vier silbernen Delphinen errichtet, aus deren Mäulern kostenlos Wein für jedermann floss.
Königin Anna erfüllte ein Gelübde, indem sie zur Ehre ihres erstgeborenen Sohnes der Kirche »Unserer Lieben Frau von Loreto« eine neun Pfund schwere Goldstatue stiftete. Das entsprach exakt dem Geburtsgewicht des Thronfolgers.
Tausende von Messen und Andachten wurden im ganzen Land abgehalten als Dank für die glückliche Geburt.
»Frankreich befindet sich in einem Freudentaumel«, schrieb die Gazette . »Vom Hofastrologen wissen wir, dass der Dauphin im Sternzeichen der Jungfrau geboren ist, was als gutes Omen gedeutet wird. Erst zwei Tage war der kleine Dauphin alt, als die Mitglieder des Parlaments
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