Im Dunkel der Nacht (German Edition)
wehtaten.
»Du warst ein kleines Kind. Ich glaube nicht, dass du große Hintergedanken dabei hattest.« Er fuhr mit einem Finger über die Konturen ihres Gesichts. Seine Berührung ließ ihren Körper dahinschmelzen, doch ihr Geist war unruhig wie ein Hamster im Laufrad, der keinen Ausweg sah. »Die Erinnerung schmerzt so sehr. Ich habe es immer bereut. Aber zu wissen, dass er meinetwegen an den Ort geschickt wurde, wo er schließlich den Tod fand – das ist zu viel.«
»Du hast ihn nicht hingeschickt. Du warst ein Kind. Du hattest es nicht in der Hand.«
Genau das wollte sie hören. Sie wollte von allen Anklagepunkten, die sie gegen sich selbst vorbrachte, freigesprochen werden. Doch so einfach war es nicht.
»Meinst du, mein Vater wusste, was sie mit ihm anstellen würden, als er Max dorthin schickte?«
Zach seufzte. »Das bezweifle ich. Es passt nicht ins Bild. Außerdem sind einige solcher Schulen wirklich großartig. Wenn es Einrichtungen wie die Sierra School nicht gäbe, wüsste ich nicht, was aus mir geworden wäre.«
»Du warst in einer Erziehungsanstalt?« Sie entzog sich ihm, um sein Gesicht sehen zu können.
»Mein Vater wurde im Dienst getötet, als ich zwölf war. Ich geriet eine Weile auf die schiefe Bahn. Ich war ziemlich verbittert.« Er sah sie nicht an, während er sprach. Ein Muskel in seinem Gesicht spannte sich leicht an, doch seine Stimme blieb ruhig. Natürlich verstand er sich auch darauf, seine Stimme zu kontrollieren. Sie hatte ihn dabei nun bereits einige Male ertappt.
»Tut mir leid«, sagte sie.
Er beugte sich hinüber und nahm ihre Hand, den Blick weiterhin abgewandt. »Schon gut. Es ist lange her.«
»Das heißt nicht, dass es nicht mehr wehtut.«
Er nickte und fuhr mit seinem Daumen über ihre Hand.
»Stimmt.«
Sie überlegte einen Moment. »Glaubst du, mein Vater war tatsächlich der Meinung, Max zu helfen? Konnte er eine gute Tat im Sinn gehabt haben?«
Zach pustete. »Du verlangst etwas viel, Veronica. Ich war nicht dabei, und selbst wenn ich es gewesen wäre, bezweifle ich, dass ich die Beweggründe deines Vaters hätte ergründen können. Er war … ein schwieriger Mensch.«
Wie diplomatisch. Ihr Vater war ein Arschloch gewesen.
»Du musst nicht um den heißen Brei herumreden. Ich weiß, wer mein Vater war. Und wie er war.«
»Deswegen muss ich noch lange nicht den Finger in die Wunde legen.« Er zog sie zu sich und küsste sie. Sie rückte näher, sodass ihre Körper eng aneinandergepresst waren.
»Stimmt. Ich muss mein Augenmerk auf das richten, was mit Max passiert ist. Ich muss herausfinden, warum ihm jemand so etwas angetan hat. Er war noch ein Kind.«
Er runzelte die Stirn. »Du weißt so gut wie ich, dass Menschen nicht immer einen Grund für ihre Taten brauchen. Das siehst du doch praktisch täglich.«
Das war definitiv richtig. Die Zahl guter Absichten, die sich in der Notaufnahme als schlecht herausstellten, war schier endlos.
»Uns geht es auch nicht anders. Sicher, bis es zum Prozess kommt, haben sie oft einen Grund für ihre Tat gefunden. Aber für mich klingt das immer wie eine ausführliche Rechtfertigung. Die meiste Zeit über handeln Menschen instinktiv. Sie reagieren, ohne nachzudenken. Sie folgen jemandem, dem sie nicht folgen sollten, oder sie geben ihrem Zorn, ihrer Angst oder ihrem Hass nach. Vernunft und Gründe spielen da keine große Rolle.«
Das waren trostlose Aussichten. »Du gehst also davon aus, dass es keine wirkliche Aufklärung des Falls geben wird?«
»Nein, im Gegenteil. Ich glaube immer an die Aufklärung eines Falls. Das ist Teil dessen, warum ich diesen Job mache. Ich finde vielleicht nicht heraus, warum etwas passiert ist, aber ich kann aufdecken, was passiert ist. Ich denke, das hilft. Meinst du nicht, dass es auch ein Erfolg ist, wenn du aufhören kannst, darauf zu warten, dass Max vor deiner Tür steht? Vielleicht nicht sofort, aber auf lange Sicht gesehen?«
Veronica legte ihren Kopf auf seine Brust. Wäre es ein Erfolg? Sie wusste es nicht.
»Du musst dir nicht gleich jetzt darüber klar werden. Lass es dir durch den Kopf gehen. Oder schlafe ein paar Nächte darüber. Wann hast du überhaupt das letzte Mal richtig geschlafen?«
Sie war sich nicht sicher. »Gestern vielleicht?«
»Prima. Weißt du, ich treffe meine besten Entscheidungen immer, wenn ich tagelang nicht geschlafen und mich auf einer emotionalen Achterbahn befunden habe.«
Sie stupste ihn zwischen die Rippen. »He, immerhin habe ich entschieden,
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