Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Dunkel der Schuld

Im Dunkel der Schuld

Titel: Im Dunkel der Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rita Hampp
Vom Netzwerk:
über. Im Geiste sah sie ihren Bruder seit Tagen in der Badewanne liegen, blau angelaufen, oder im Fernsehsessel sitzen, mit offenem Mund und fragendem Blick in den toten Augen.
    Â»Schnell, schnell«, trieb sie Maria an und drängte ungeduldig nach ihr ins Haus. Schon am Briefkasten neben der Tür stutzte sie. Die Samstagszeitung steckte noch! Sie stieß ihre umständliche Schwägerin zur Seite, machte Licht und rannte durch alle Räume.
    Â»Georg, Georg!«, schrie sie dabei, und Maria ließ sich von ihrer Panik anstecken und folgte schluchzend.
    Aber Georg war nicht da. Alles war penibel aufgeräumt, sogar der Mülleimer unter der Spüle war blitzsauber, wie Ebba feststellte, als sie ein Papiertaschentuch entsorgen wollte, mit dem auch sie sich ein paar Tränen fortgewischt hatte. Tränen der Erleichterung allerdings, weil es keine Leiche gab. Vielleicht war ihr Bruder spazieren gegangen. Vielleicht machte er spontan einen Ausflug, sein Auto stand ja nicht in der Garage. Vielleicht – ja, vielleicht war etwas mit Mama, und er war nach Freiburg gefahren!
    Bebend wählte Ebba die dortige Telefonnummer. Ihre Mutter kam nach dem zweiten Klingeln an den Apparat.
    Â»Georg? Nein, den habe ich seit Weihnachten weder gehört noch gesehen«, sagte sie mit weinerlicher Stimme. »Du kennst ja seine Regeln. Er will sich Ostern melden, da kann ich doch nicht vorzeitig anrufen, obwohl ich mich sehr nach einem versöhnenden Wort sehne.«
    Ebba verdrehte die Augen. Natürlich könnte Mama ihn anrufen – wo war das Problem? Sie wollte nicht, hatte nie gewollt und sich immer hinter ihrem ewigen »ich kann nicht« versteckt.
    Aber das gehörte nicht hierher. Wo konnte Georg sein? Sollte sie bei der Polizei anrufen oder sich zuerst in den Krankenhäusern nach ihm erkundigen? Dann fiel ihr das Naheliegende ein.
    Â»Kann es sein, dass er arbeitet?«
    Maria machte Kuhaugen. »Heute? Never . Sonntag ist Tatorttag.«
    Wieder sah Ebba zur Decke. Georgs Regeln! Fluch oder Segen – das würde sich gleich herausstellen. Konnte es sein, dass Georg ohne Maria alle Richtlinien über Bord warf? Oder war er – wie sie insgeheim befürchtete – mittlerweile so desorientiert, dass er im Büro saß und nicht mehr nach Hause fand? Wer sich ausdachte, dass jemand Fremdes oder gar die eigene Ehefrau ihn in den Wahnsinn treiben wollte, der war vielleicht ernsthaft krank.
    Â»Aber hier ist er nicht«, stellte sie fest und schob ihr Kinn vor. »Wir fahren zu seinem Büro – und bitte keine Einwände.«
    Im Nachhinein fragte sich Ebba manchmal, ob es nicht besser gewesen wäre, sich erst an die Polizei zu wenden und eine Vermisstenanzeige aufzugeben. Aber wahrscheinlich hätten die Beamten sie ebenfalls zunächst zum Büro geschickt; es wäre ihnen also nicht erspart geblieben, Georg zu finden.
    Dass etwas nicht stimmte, hatte sie sofort geahnt, als sie Georgs Wagen einsam auf dem riesigen Parkplatz hinter dem Bürokomplex sah. Im gesamten Gebäude brannte kein Licht, und das konnte nur bedeuten, dass er nicht etwa in seine Arbeit vertieft war, sondern vermutlich gesundheitliche Schwierigkeiten hatte.
    Sie hatte die Polizei gerufen, die den Hausmeister kommen ließ, der ihnen Zutritt zum Gebäude verschaffte. Im Eingangsbereich roch es nach frischer Farbe, ansonsten war alles still. Zu still.
    Als sie Georg im zweiten Stock zwischen den geöffneten Türen des Aufzugs fanden, nahm Ebba ihre Schwägerin gerade noch rechtzeitig in den Arm, um ihr den schlimmsten Anblick zu ersparen.
    Ihr Magen krampfte sich zusammen, während sie auf ihren toten Bruder blickte, der mit blutverkrusteten Fingerspitzen und starrem Blick zusammengekrümmt dalag und sich nicht gegen die Türen wehren konnte, die im Rhythmus einer unhörbaren Melodie immer wieder zugleiten wollten, aber von der Lichtschranke daran gehindert wurden und mit einem dumpfen Seufzen auseinanderfuhren, ohne seinen toten Körper zu berühren.
    Wie betäubt stand sie mit Maria da, erlebte wenig später das Erscheinen der Kriminalpolizei und des Rechtsmediziners, der Polizeifotografen und Kriminaltechniker, als betrachte sie eine Szene in Georgs geliebtem »Tatort«.
    Maria saß irgendwann in einem Abstellraum in der Nähe von Georgs Büro und trank ein Glas Wasser, in dem jemand ein Beruhigungsmittel aufgelöst hatte. Sie war zu keiner Aussage

Weitere Kostenlose Bücher