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Im Dunkel der Schuld

Im Dunkel der Schuld

Titel: Im Dunkel der Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rita Hampp
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Strümpfe blutig waren und braune Flecken auf den Fliesen hinterließen und sie vor Erschöpfung einfach umfiel. Damals hatte sie das Glück gehabt, dass ein Freund ihres Vaters – Toni hatte er geheißen, daran konnte sie sich noch genau erinnern, auch wenn sie nicht mehr wusste, wie er aussah – zufällig dazugekommen war, der sie aufgehoben und ins Kinderzimmer getragen hatte. In jener Nacht hatte sie aus der Küche ärgerliche Männerstimmen gehört, und seitdem hatte ihr Vater sie zwar weitgehend in Ruhe gelassen, sie aber weiterhin benutzt, um Georg und Rosie mit unerfüllbaren Forderungen zu quälen. Es nutzte nichts, wenn sie ihren Geschwistern immer wieder versicherte, dass es ihr nichts mehr ausmachte, wenn er sie in die Truhe oder später in den Schrank sperrte, weil sie Tricks gefunden hatte, die ihr halfen – die beiden taten trotzdem alles, was in ihrer Macht stand, um sie zu schützen. Ohne Erfolg, sodass sie, sobald sie ihrem schwarzen Gefängnis entronnen war, auch noch Rosie und Georg trösten musste. Ganz zu schweigen davon, dass sie neben der Schule den Haushalt versorgte und später aus völlig anderen Gründen auch das Kochen übernahm.
    All das blieb unausgesprochen am Krankenbett der Mutter, deren Zustand weiter unverändert schwankte.
    Â»Morgen fliege ich nach Mallorca«, verkündete Ebba ihr eines Abends. Sie hob dabei gedankenverloren eine Kanüle auf, die unters Bett gerollt war, und warf sie in den Abfalleimer, der bis auf ein blau-weißes Stück Bonbonpapier leer war.
    Â»Ich muss einem Kunden ein Bild bringen, das ich für ihn besorgt habe. Es wird nur ein paar Tage dauern. Vielleicht geht es dir bis dahin besser, Mama. Auf Dauer ist es doch langweilig hier, oder? Wird Zeit, dass du aufwachst, hörst du? Streng dich an, tu mir den Gefallen. Mir und Rosie. Sobald du die Augen aufmachst, kommt sie her, das hat sie mir gestern erst versprochen. Wäre es nicht schön, wenn wir uns mal im Frühling treffen würden statt immer nur im Winter? Mama! Bitte! Wach auf. Und sei mir nicht böse, wenn ich ein paar Tage nicht komme. Es wird hier ja gut für dich gesorgt, nicht wahr?«
    Sie streichelte ihrer Mutter noch einmal über die glatte Wange, warf einen Blick auf die Tropfinfusion und hauchte Frieda schließlich einen Abschiedskuss auf die Stirn. Für den Bruchteil einer Sekunde hatte sie das Gefühl, als würde ihre Mutter in ihrer Bewusstlosigkeit erstarren, als würde ein flehender Ausdruck über ihr Gesicht huschen, als höre sie sie flüstern: »Geh nicht, bleib hier, hilf mir!« Aber das war natürlich bloße Einbildung, Ausdruck ihres eigenen schlechten Gewissens. Es wurde wirklich Zeit, etwas Abstand zu nehmen.
    Beim Hinausgehen stutzte Ebba kurz, als ihr Blick noch einmal auf den Abfalleimer fiel. Wieso hatte eine Kanüle unter dem Bett gelegen, wenn ihre Mutter doch gar keine Spritzen, sondern über einen Tropf Infusionen bekam? Und dann noch etwas: Sie hatte vorhin warten müssen, bis sie ins Zimmer konnte, weil es gerade gereinigt wurde. Sie war in die Cafeteria gegangen und hatte ewig auf ihr Mineralwasser gewartet, sodass sie erst eine halbe Stunde später wieder im Zimmer ihrer Mutter gewesen war. Hätte zu dem Zeitpunkt nicht alles noch sauber und rein sein müssen? Die Schwestern hatten gerade ihre Dienstbesprechung zum Schichtwechsel gehabt, als sie zurückkam, eigentlich war niemand mehr im Zimmer gewesen, um ihrer Mutter – aus welchem Grund auch immer – eine Spritze zu geben. Das hätte sie sonst erfahren. Seltsam.
    Ebba merkte, wie sich ihre Haare hochstellten, dann versuchte sie sich wieder zu beruhigen. Sie sah schon Gespenster! Nur weil es unerklärlich schien, wie ihre Mutter in diese Lage geraten war, musste es noch lange nicht bedeuten, dass ihr jemand etwas Böses wollte. Warum auch? Und dann noch in einem Krankenhaus! Solche Gedanken grenzten an Verfolgungswahn. Ihre angespannten Nerven spielten ihr einen Streich. Höchste Zeit, dass sie für ein paar Tage rauskam.

Vierzehn
    Frieda merkte, dass sie langsam müder wurde, aber dann bekam sie mit, wie sich die Gummidichtung der schweren Tür leise zusammenzog. Gleich darauf herrschte Stille, grauenvolle Stille, und nun bebte jede kleine Faser in ihrem Bewusstsein aus Angst vor dem, der sicherlich bald noch einmal hereinschlüpfen würde.
    Sie versuchte zu beten. Sie

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