Im Dunkel der Schuld
stockte und lachte verlegen. »Das hört sich irre an, oder?«
Jörg deutete ein Nicken an. »Jetzt gehen die Nerven mit dir durch. Verständlich. Komm, wir trinken einen Kaffee, das wird dir guttun. Ich muss leider heute Abend wieder auf Sylt sein, sonst wäre ich gern bei dir geblieben. Du bist ja ganz verstört. Kennst du jemanden, zu dem du gehen kannst?«
»Nur Inken.«
»Das hört sich gut an. Bleib heute Abend nicht allein, versprich mir das, ja?«
Jörg blickte ihr eindringlich in die Augen und strich ihr mit beiden Händen fest über den Kopf. »Ich mach mir groÃe Sorgen um dich. Pass gut auf dich auf, hörst du?« Er zog sie fester an sich, küsste ihre Stirn, ihre Nase, und dann, endlich, unendlich zärtlich, trafen seine Lippen ihren Mund. Ebba schloss die Augen und spürte dem Wohlbehagen nach, das sich in ihr ausbreitete wie eine warme Decke und das sie mehr tröstete als alle Worte.
»Lass es uns noch einmal versuchen«, hörte sie seine Stimme an ihrem Ohr.
Sie machte sich steif und schob ihn ein Stück von sich. »Hast du nicht jemanden �«
»Das ist vorbei, Ebba. Es kann keine andere Frau geben â es gab immer nur dich.«
Noch knapp zwei Tage dauerte es, bis die Polizei ihre Ermittlungen beendet hatte und Rosies Wohnung und Haus freigab. Man habe keine Anhaltspunkte für ein Fremdverschulden finden können, verkündete Asmus Ebba am Freitagnachmittag und sah bedrückt aus.
»Ich glaube es nach wie vor nicht«, sagte Ebba. »Denken Sie an Georg und meine Mutter. Es steckt doch System dahinter! Warum überprüfen Sie die alten Fälle nicht?«
»Weil es keine Anhaltspunkte für eine Straftat gab. Ich habe gestern mit der Kollegin in Freiburg telefoniert â¦Â«
»Frau Wieland?«
»Genau. Ihr geht der Fall Ihrer Mutter auch nicht aus dem Sinn, aber wir haben nichts in der Hand, um von etwas anderem als Freitod auszugehen. Von einer vorsätzlichen Straftat schon gar nicht. Ich kann mir vorstellen, dass es für Sie als Angehörige schwer ist, das zu akzeptieren, aber es gibt einfach nichts auÃer Ihrem unguten Gefühl. Das reicht nicht. Aber ich bitte Sie, mich sofort anzurufen, wenn Ihnen noch etwas Wichtiges einfällt.«
Es dämmerte, als Ebba die Polizeidienststelle verlieÃ. Einen Moment lang blieb sie stehen und sah in die tief hängenden Wolken, die sich am Horizont allmählich schwarz färbten. Der Mond war als Sichel zu erkennen, der Wind tat alles, um sie aus der ungemütlichen Stadt zu vertreiben, auch wenn er inzwischen fast unnatürliche Wärme mit sich brachte.
Sie hob sich die Wohnung im Turm für den nächsten Morgen auf. Dort wollte sie alles bei Tageslicht inspizieren. Vielleicht fand sie doch etwas, was die Polizei übersehen hatte. Waren die Beamten nicht von vornherein nur von einer Selbsttötung ausgegangen?
Ebba parkte den Leihwagen auf dem vorgesehenen Parkplatz auÃerhalb des Städtchens, lief die paar Schritte zum Haus, löste ungeduldig das Siegel und öffnete die Tür mit dem Schlüssel, den Asmus ihr ausgehändigt hatte. Das Erste, was sie spürte, noch bevor sie das Licht anknipste, war die Hitze. Rosie hatte, bevor sie das Haus verlieÃ, offenbar alle Heizungen aufgedreht.
Indiz Nummer eins: Machte man es sich bullig warm, wenn man vorhatte, nie wieder zurückzukommen?
Die Ermittler hatten zwar keine Unordnung hinterlassen, trotzdem schnappte Ebba inmitten der wuchtigen Bio-Holzmöbel, der Lammfelle und Decken auf Sesseln und Sofa, der Wollteppiche, Häkelgardinen und dicken Vorhänge nach Luft und riss alle Fenster auf, an die sie ohne groÃe Umräumaktionen herankam. Rosie hatte das Haus seit Ebbas Besuch gründlich umdekoriert. Es hätte ein Katzenmuseum sein können, nicht das Heim einer gebildeten Buchhändlerin. Natürlich waren die Regale immer noch vollgestopft mit Büchern, Bücher lagen auch auf dem Boden, in einem Sessel, in der Küche, auf dem Esstisch, aber was Ebba irritierte, waren die vielen Plüschkatzen, Porzellankatzen, das Geschirr mit Katzenmuster, Katzen-Scherenschnitte in den Fenstern, Kratzbäume im Wohn- und Esszimmer, selbst der Schirm der Stehlampe neben dem Lesesessel trug ein Katzenmotiv, ganz zu schweigen von den Kissen mit Katzenköpfen überall. Im Gäste-WC stand das Katzenklo, in der Küche Fressnäpfe in Katzenform, in
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