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Im Dunkel der Waelder

Im Dunkel der Waelder

Titel: Im Dunkel der Waelder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Aubert
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sich prächtig zu amüsieren. Mit schriller Stimme erzählt Betty, wie sie das letzte Mal mit Manu auf dem Katamaran bei Windstärke 8 unterwegs war. Claude Mondini berichtet, ich weiß nicht, wem, davon, welchen Zulauf die neuen Katechismus-Abende haben. Wenn ich daran denke, wie sehr ich mich auf diesen Abend gefreut habe! Mein ganzer Enthusiasmus ist verflogen, und ich kann einfach nicht aufhören, mich zu fragen, wer von den Anwesenden es spaßig finden könnte, eine wehrlose Behinderte mit einer Nadel zu traktieren. Kinder schreien und toben wild durch die Gegend. Plötzlich fällt mir ein, daß Virginie ja wieder da sein muß!
    Doch der Gedanke daran beruhigt mich keineswegs, im Gegenteil. Mit Virginie kommen auch all die Fragen zurück, auf die ich keine Antwort weiß. Und das kann ich heute abend wirklich nicht gebrauchen.
    Genau in diesem Augenblick höre ich ihr gleichgültiges Stimmchen:
    »Guten Abend, Elise. Geht es dir gut?«
    Ich hebe den Zeigefinger, aber es ist eine Lüge. Mir geht es alles andere als gut.
    »Ich bin im Ferienlager auf Ponys geritten! Das war toll! Ich wäre gern den ganzen Sommer über dort geblieben, aber sie wollten das nicht. Dort hat es mir besser gefallen. Ich hatte meine Ruhe.«
    Pauls Stimme:
    »Virginie! Deine Koteletts werden kalt!«
    »Ich komme!«
    Sie beugt sich zu mir hinüber und flüstert mir zu: »Paß auf dich auf!« und ist schon verschwunden.
    Ich bin allein. Ich habe keinen Hunger. Ich bedauere es, Virginie begegnet zu sein.
    Eine Hand legt sich auf meinen Arm, ich zucke innerlich zusammen.
    »Alles in Ordnung, Lise?«
    Es ist Paul.
    Ich hebe nicht den Zeigefinger. Wenn mich noch mal jemand fragt, ob es mir gut geht, muß ich kotzen.
    »Sind zu viele Leute hier?«
    Kein Zeigefinger. Na, ist das nicht lustiger als ›Heiß oder kalt‹ zu spielen? Das kann Stunden dauern.
    »Haben Sie Angst?«
    Ins Schwarze getroffen. Ich hebe den Zeigefinger.
    »Wollen Sie nach Hause?«
    Kein Zeigefinger. Ich will vor allem nicht nach Hause.
    »Also, Paul, zeigst du uns nun diese Fotos?« ertönt auf einmal in unmittelbarer Nähe Stephs dröhnende Stimme.
    Wegen seiner außerordentlich männlich-markanten Stimme stelle ich mir vor, daß Steph wie ein Rugbyspieler aussieht, eine lange, blonde Mähne, strahlendblaue Augen und fleischige Lippen hat. Paul richtet sich auf, seine Hand berührt meinen Arm und hinterläßt ein Gefühl der Wärme.
    »Bis später, Lise.«
    Paul hat mich Lise getauft. Er mag meinen Vornamen nicht. Er behauptet, wenn er ›Elise‹ sagt, habe er immer das Gefühl, gleich müsse sich jemand ans Klavier setzen und zu spielen anfangen. Mir gefällt ›Lise‹ nicht. Ich habe dann das Gefühl, hundert Jahre alt zu sein und in einem Umhang zu stecken, wie ihn die kleinen Mädchen vor dem Krieg trugen. Doch nun nennen mich alle Lise.
    Warum hat Virginie gesagt, ich soll auf mich aufpassen? Ihre Warnung paßt in dieser Situation wie die Faust aufs Auge. Die Musik ist ohrenbetäubend, irgendeine moderne Gruppe, die ich nicht kenne. Die Leute müssen schreien, damit sie sich verstehen. Ah! Eine andere Platte wird aufgelegt. Ein Bossa-Nova, das ist doch wenigstens cool.
    »Wissen Sie, Lise, Paul tut immer so, als sei er ein Aufreißer, dabei ist er in Wirklichkeit sehr treu.«
    Mir stockt der Atem. Wer hat da gesprochen? Sophie, diese Landplage? Ich konnte die Stimme nicht richtig erkennen. Als ob … ich und Paul … oder Paul und ich … In meinem Zustand? Meiner Ansicht nach sind die einzigen Männer, die sich noch für mich interessieren könnten, die Krankenträger von Lourdes …
    Ich werde langsam müde. Zum Abendessen habe ich Avocadomus und Frischkäse zu essen bekommen, und Yvette hat mir etwas Champagner zu trinken gegeben. Sie ist überglücklich, ihre Kaltschale war ein voller Erfolg. Ich habe das Gefühl, gleich einzunicken. Ich bin es nicht mehr gewohnt auszugehen, und die Medikamente, die Raybaud mir verschrieben hat, machen mich gelegentlich wunderbar schläfrig.
    Wie spät mag es sein? Meine Augenlider sind ganz schwer. Alle sind betrunken. Steph schmettert lauthals Lieder mit zweideutigem Inhalt. Die Leute verabschieden sich langsam, ich höre, wie Autotüren zugeschlagen werden. Yvette unterhält sich mit Pauls Mutter, einer alten Dame um die sechzig, die früher bei der Post gearbeitet hat. Sie ist für einige Tage bei ihrem Sohn zu Besuch. Beide diskutieren mit verbissener Hartnäckigkeit über Tarot-Karten und scheinen von dem Radau rundherum

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