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Im Dunkel der Waelder

Im Dunkel der Waelder

Titel: Im Dunkel der Waelder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Aubert
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Wer hätte das für möglich gehalten, daß man Stéphane im Park angreifen könnte! Und dann rollt Ihr Rollstuhl auch noch den Abhang hinunter, also wirklich, so ein Pech. Zeigen Sie mal Ihre Hände. Na, das geht ja, sie sind schön warm.«
    Ich habe fürchterliche Halsschmerzen, und wenn meine Hände warm sind, dann nur, weil ich mir eine Grippe geholt habe!
    »Haben Sie Durst? Hunger?«
    Kein Zeigefinger.
    »Aber Sie müssen doch etwas essen! Monsieur Guillaume bleibt zum Abendessen, er ist so nett. Stellen Sie sich nur vor, wenn er nicht vorbeigekommen wäre …«
    Ich weiß, dann würden sich jetzt die Kaulquappen an mir gütlich tun.
    »Ich habe einen Fleischeintopf mit Ravioli gemacht. Ich denke, die Ravioli können Sie auch essen.«
    Das Problem bei meiner Ernährung besteht darin, daß ich Schwierigkeiten habe, die Bewegungen meines Kiefers zu koordinieren, und das ist nun mal zum Kauen unerläßlich.
    Darum werde ich vorwiegend mit Brei, Püree und flüssigen Nahrungsmitteln ernährt, die man leicht schlucken kann. Aber ich esse gerne Fleisch, schönes rotes Fleisch, Nudeln und Pizza. Und Chorizo. Ein Scheibchen Chorizo, grüne Oliven und ein gut gekühltes Bier …
    Yvette ist schon wieder in der Küche, ich höre sie geschäftig hantieren. Monsieur Guillaume kommt näher.
    »Na, geht es Ihnen besser?«
    Zeigefinger.
    »Das müssen wir feiern. Ich gehe Champagner kaufen.«
    »Aber nein, das ist doch nicht nötig!« protestiert Yvette.
    »O doch, o doch. Man springt ja schließlich nicht jeden Tag dem Tod von der Schippe,«
    Na ja, was mich betrifft ist es immerhin nicht das erste Mal. Das erste Mal war in Belfast. Benoît … Ich spüre, wie mich Schwermut überkommt. Ich will nicht an Benoît denken. Aber der Gedanke daran hält mich gefangen. Eine Flut von Bildern taucht vor mir auf; ich sehe, wie Benoît und ich die Reise vorbereiten, wir liegen in seiner Wohnung im Bett, die Prospekte auf den zerknitterten Laken ausgebreitet … Irgendwie bin ich froh, daß Benoîts Mutter die Wohnung nicht verkauft hat. So gibt es noch einen Ort auf der Welt, an dem Benoît greifbare Spuren hinterlassen hat. Yvette hat mir gesagt, daß dort noch alles unverändert ist. Seine Mutter hat nur die Fensterläden schließen lassen. Sie ist alt und krank und lebt in einem Altersheim in Bourges; der Tod ihres einzigen Sohnes hat ihr die letzte Lebenslust genommen. Und mir den Sinn des Lebens. Stimmt nicht, Elise, denn er ist tot und du nicht, und du hast auch nicht vor, dich umzubringen.
    Die Haustür fällt ins Schloß. Yvette deckt den Tisch, ich höre wie sie schnell und geübt ihre Arbeit erledigt.
    »Wirklich ein sehr netter Mann.«
    Von wem redet sie denn? Ach ja, von Monsieur Guillaume!
    »Und so höflich. Heutzutage sind die Menschen so schlecht erzogen, da ist es eine Wohltat, einen Mann zu treffen, der weiß, was sich gehört. Und er sieht auch nicht schlecht aus. Nicht sehr groß, aber kräftig. Er hat mir seine Bauchmuskeln gezeigt, hart wie Beton.«
    Na sag mal Yvette, wie ich sehe, amüsierst du dich ja prächtig. In meiner Küche die Bauchmuskeln eines Fremden abzutasten, ist das etwa kein Angriff auf das Schamgefühl? Offensichtlich sind in diesem August wirklich alle durchgedreht.
    »Was wollte denn der Kommissar schon wieder von Ihnen?« fährt sie fort. »Den hat die Natur ja nun wirklich stiefmütterlich behandelt! Und arrogant ist er! Der soll mal lieber den Kindermörder finden, anstatt hier herumzuschnüffeln.«
    Ich bin ja ganz deiner Meinung, Yvette, aber ich habe das ungute Gefühl, daß es zwischen dem Kindermörder und mir eine Verbindung gibt.
    Das Abendessen verläuft sehr angenehm. Yvette füttert mich zuerst und schiebt dann, als sie essen, meinen Rollstuhl an den Tisch. Monsieur Guillaume erzählt Witze, er ist ein guter Erzähler. Yvette lacht schallend, und mir wird plötzlich bewußt, daß ich sie nur selten habe lachen hören. Er erzählt ihr von seiner Frau. Sie hat ihn vor fünf Jahren wegen seines besten Freundes, einem Dreher bei Renault, verlassen. Yvette spricht von ihrem Mann, der vor zehn Jahren gestorben ist, nachdem er dreißig Jahre lang treu der französischen Eisenbahn gedient hatte. Ein Pole namens Holzinski, dem sie drei Kinder geschenkt hat. Sie berichtet von ihren Söhnen, der eine lebt in Montreal, der andere in Paris und der dritte in der Ardèche. Guillaume hat keine Kinder, seine Frau konnte keine bekommen. Ich höre zu, doch meine Gedanken sind ganz woanders, bei dem,

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