Im Dunkel der Waelder
was mir zugestoßen ist und die Routine meines Krankenalltags durcheinandergebracht, das Leichentuch der Langeweile, unter dem ich zu ersticken drohte, zerrissen hat.
Das Telefon klingelt.
»Ah, dieses Telefon! Man hat auch nie seine Ruhe!« brummt Yvette, während sie sich erhebt. »Hallo? Ja … Es ist für Sie, Elise.«
Für mich? Das ist das erste Mal seit zehn Monaten, daß mich jemand anruft. Yvette schiebt mich zum Telefon und hält mir den Hörer ans Ohr.
»Hallo Elise?«
»Sie können reden, sie hört Sie«, ruft Yvette über meinen Kopf hinweg.
»Elise, hier ist Stéphane.«
Ich weiß nicht warum, aber mein Herz macht einen kleinen Satz. Seine Stimme klingt schüchtern, nicht so aufschneiderisch wie sonst.
»Elise, ich wollte mich für das entschuldigen, was Ihnen geschehen ist. Ich weiß nicht, wie das passiert ist, ich ging durch den Wald und plötzlich bumm … Ich habe nur noch Sternchen gesehen, wirklich! Und dann nichts mehr, absolute Funkstille. Als man mir erzählt hat, was Ihnen zugestoßen ist …«
Im Hintergrund hört man Schritte, dann eine weinerliche Frauenstimme:
»Steph, wo bleibst du denn? Das Essen wird kalt!«
Er fährt eilig fort:
»Ich hoffe, daß Sie sich erholt haben. Ich werde Sie morgen besuchen. Also, bis dann.«
Er legt auf. Yvette legt den Hörer wieder auf die Gabel.
»Alles in Ordnung?«
Zeigefinger.
»Der arme Kerl. Er ist so nett. Nur schade, daß seine Frau eine solche Meckerziege ist. Ich spreche gerade von dem Mann, der heute morgen bei Elise war. Stéphane Migoin.«
Ich begreife, daß sie sich an Jean Guillaume wendet und kehre wieder zu meinen alten Gedanken zurück. Möchte ich Stéphane morgen sehen? Und Paul und Hélène? Warum haben sie nicht angerufen? Sie könnten sich ruhig nach meinem Befinden erkundigen. So grübele ich bis zum Dessert weiter, immer wieder gehe ich die Ereignisse der letzten Zeit durch, bis Jean Guillaume die Champagnerflasche entkorkt. Yvette kichert, man hört das Prickeln des Champagners in den Gläsern. Ich bekomme auch eins, mmh, schmeckt der Champagner schön frisch. Es läutet.
Yvette öffnet die Tür.
So eine Überraschung! Es ist die ganze Familie Fansten. Virginie läuft durchs Zimmer und küßt mich auf beide Wangen. Yvette stellt Jean Guillaume vor, Glückwünsche, was darf ich Ihnen zu trinken anbieten, ah, Paul hat auch eine Flasche Champagner mitgebracht. Langsam verstehe auch ich, daß die Sache geplant war. Sie haben mit Yvette ausgemacht, daß sie zum Dessert kommen, und Yvette hat mir nichts gesagt, es sollte eine Überraschung sein. Hélène umarmt mich und fragt, ob alles in Ordnung ist. Paul umarmt mich nicht, aber auch er fragt mich, ob alles in Ordnung ist. Gott sei Dank reicht ihnen Jean Guillaume die Champagnergläser, und alle schweigen und trinken, nachdem sie auf meine Gesundheit angestoßen haben.
Es ist angenehm, wenn man sozusagen aus dem Reich der Toten zurückgekehrt ist, wie einem von allen Seiten plötzlich Interesse entgegengebracht wird.
Die beiden Flaschen sind leer, Yvette bringt den Kaffee. Paul hat sich zu mir gesetzt.
»Ich war vorhin bei Steph. Er hat einen Verband um den Kopf, sieht ganz komisch aus. Der Ärmste fragt sich immer noch, wie das passieren konnte.«
Hélène mischt sich ein.
»Ich verstehe nicht, wie ein Typ, der so kräftig ist wie Steph, sich einfach niederschlagen lassen kann! Ohne etwas zu hören, ohne etwas zu sehen! Ich hätte nie gedacht, daß man so einen Kleiderschrank von Mann angreifen würde.«
Ich auch nicht.
»Und Sie, Monsieur Guillaume, haben Sie nichts Verdächtiges bemerkt?«
»Wie ich schon der Polizei gesagt habe, dem Inspektor Dingsbums, regnete es in Strömen. Ich hatte meine Kapuze ins Gesicht gezogen und lief mit gesenktem Kopf … Selbst wenn mir jemand begegnet wäre, bei dem feuchten Gras, das jedes Geräusch verschluckt … Das einzige, was ich gesehen habe, war der umgekippte Rollstuhl und Mademoiselle Andrioli, deren Kopf unter Wasser lag. Man sah nur noch ihre Füße und Luftblasen. Ich bin hingelaufen und habe sie am Knöchel gepackt. Zum Glück ist sie nicht schwer!«
»Sie haben den Täter offenbar nur knapp verfehlt«, bemerkt Paul.
»Er konnte sich hinter den Büschen verstecken, um abzuwarten, bis ich wieder weg war, und dann in aller Ruhe verschwinden.«
»Und wenn wir über etwas anderes sprechen würden?« schlägt Hélène vor. »Elise hat vielleicht überhaupt keine Lust, die ganze Geschichte noch einmal zu hören!
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