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Im Dunkeln sind alle Wölfe grau

Im Dunkeln sind alle Wölfe grau

Titel: Im Dunkeln sind alle Wölfe grau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Staalesen
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und die Stirn war hoch und gedankenvoll. Er streckte eine Hand aus und stellte sich vor. Ich tat dasselbe. Dann setzte er hinzu: »Ich habe von ihnen gehört, Veum.«
Aber er sah nicht so aus, als hätte ihn das, was er gehört hatte, sonderlich erfreut, also beließen wir es dabei.
Ich sagte: »Ich war ein naher Freund von Hjalmar Nymark.«
»So, tatsächlich?« sagte der Kripochef freundlich.
»Ich höre, ihr habt die Ermittlungen eingestellt?«
»Naja, eingestellt und eingestellt. Wissen Sie, Ermittlungen zu Todesfällen werden nie eingestellt, Veum. Taucht etwas Neues auf, dann …«
»Etwas Neues? Wie zum Beispiel? Weitere Leichen?«
»Also …« Es blitzte humorvoll hinter den Brillengläsern. »Warum denn so ungehalten?«
Hjalmar Nymarks ›Freunde und Kollegen‹ waren im Begriff, den kleinen Platz vor der Kapelle zu verlassen. Die drei Polizeibeamten machten mich nervös, als sei ich ein Pfadfinderjunge in einem theologischen Streitgespräch mit drei alten Bischöfen. Wir begannen, auf den Ausgang zuzugehen. Oben an Ulriken ragten die Masten der neuen Seilbahn auf, die sie nun endlich wieder in Gang bekommen hatten, nach dem Unglück 1974. Das Betrübliche war nur, daß niemand die Bahn benutzen wollte, die Fahrkarten waren teuer wie Zirkuskarten und die ganze Gesellschaft dabei, in Konkurs zu gehen.
Vor dem Tor fragte Vadheim, ob er mich in die Stadt mitnehmen könne. Ich dankte, sagte aber, daß ich gehen wollte, ich brauchte frische Luft. Vadheim und der Kripochef nickten freundlich zum Abschied, während Hamre nur einen undeutlichen Abschiedsgruß brummte, bevor sie sich alle ins Auto setzten, Hamre am Steuer.
Ich ging über Astadvollen und Kalfaret hinunter. Es hatte angefangen zu wehen, und ein feuchter Hauch von Nieselregen war in der Luft. In der Gegend, durch die ich ging, wohnten Menschen in großen, öden Villen, einige davon so groß und unpraktisch, daß man sich darin wie in überdimensionalen Rüstungen vorkommen mußte. Das hier war nicht Hjalmar Nymarks Viertel gewesen. In einem engen, kleinen Raum mit verblaßten Tapeten, unter dem Dach eines Altbaus, dort hatte er gelebt und dort war er gestorben.
Aber war es ein natürlicher Tod gewesen?
Während ich dem Gehsteig den Kalvedalsvei entlang folgte, oberhalb der Hansa-Brauerei entlang, mit Aussicht über Store Lungegårdsvann und das Fjell auf der anderen Seite der Stadt – Løvstakken, das Damgårdsfjell und ganz weit draußen Lyderhorn mit seinem langgestreckten, wachsenden Profil – schwor ich mir selbst, daß ich es nicht einfach dabei belassen würde.
Ich würde es herausfinden.
Wenn Hjalmar Nymark nicht eines natürlichen Todes gestorben war, würde ich das herausfinden, selbst wenn ich zehn, zwanzig, ja dreißig Jahre zurückgehen müßte, um den Schuldigen zu finden.
Unten am Stadttor kam der Regen, wie graues Wischwasser von einer runzligen Putzfrau irgendwo oben hinter den Wolken.
18
    Ich ging auf eine Tasse Kaffee und ein halbes Brötchen ins Bahnhofscafé. Um mich her saßen Menschen mit Koffern und Rucksäcken neben sich auf dem Boden. Es war August und Spätsommer im Fjell. Noch hatten die letzten Sommertouristen sich nicht zur Ruhe begeben. Vielleicht träumten sie von sonnenbeschienenen Orten dort oben über der Wolkendecke. Oder vielleicht strebten sie nur auf die Höhen, wie Tiere es tun bei großen Überschwemmungen. Der Regen zeichnete lange, dünne Streifen an die Fenster zur Straße und ließ den Ausblick verschwimmen, als sähest du durch Gelatine.
    Ich überquerte die Straße und ging zum Zwillingsgebäude nebenan: Bergens öffentliche Bibliothek. Die beiden Gebäude, der Bahnhof und die Bibliothek – waren aus demselben Material gebaut: großen, dunklen Granitblöcken. Vielleicht hatte man das getan, damit diese soliden Denkmäler zweier der Tugenden der Menschheit: Rastlosigkeit und Wissensdurst, die Tage des jüngsten Gerichts überleben sollten, die man sich vorzustellen am Anfang des Jahrhunderts noch die Phantasie hatte. Und da standen sie nun, in Erwartung der Neutronenbombe. Wenn alle Menschen verschwunden wären, würden sie vielleicht noch immer da stehen: der Bahnhof mit seinem ewigen Durchzug, kühl und ungemütlich, selbst mitten im Sommer; die Bibliothek mit ihren Regalen, die sich unter dem Wissen bogen, das trotz allem nichts geholfen hatte. Vom Bahnhof würden nach ewigen Fahrplänen unsichtbare Züge ausfahren, längst verrostete Gleise entlang; und durch die leere Bibliothek würden still, von

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