Im Feuer der Nacht
seinem Blick. »Weil ...« Seine Stimme erstarb. Er hob eine Hand; Griselda war sich nicht einmal sicher, dass er genau wusste, warum er so gehandelt hatte.
Seine Finger glitten über ihre Wange, dicht, aber ohne sie zu berühren. Als ob er Angst hätte, sie zu berühren. Kurz erforschte er ihren Blick, als suchte er dort nach einer Antwort, und als er nichts fand, fluchte er leise und bewegte sich.
Ergriff sie an den Schultern und zog sie zu sich heran, drückte sie an sich und bedeckte ihre Lippen mit seinen.
Griselda schnappte kaum merklich nach Luft, umklammerte seine Schultern und hielt ihn fest, krallte die Finger so eng in seinen Mantel, als hinge ihr Leben davon ab.
Es war, als würde sie in einen reißenden Strudel gezogen - in einen Strudel von Verlangen und Bedürfnissen, Begehren und Sehnsüchten.
Er sprach sie an, zog sie mühelos an sich, bis sie seinen Kuss erwiderte, bis sie sich an ihn schmiegte und ihm ihren Mund schenkte. Bis der wütende Sturm in seinem Innern sich legte.
Weil der Sturm in ihm abflaute, war es plötzlich nicht mehr, als würde sie im Sog eines Mahlstroms in die Tiefe gerissen werden, sondern so leicht wie beim Walzer in einen Wirbel der Lust hineintanzen.
Der schlichte Kuss rührte an etwas, was tiefer in ihr lag, rührte an verborgene und verschachtelte Sehnsüchte, versüßt durch seine Zärtlichkeiten.
Minuten später hob er den Kopf, wartete, bis sie die Augen öffnete und ihn anschaute, um dann zu verkünden: »Das ist der Grund.«
Jedes weitere Wort war überflüssig.
Sie kniff die Augen zusammen, kämpfte um Halt in einer Welt, die gerade in sich zusammengebrochen war. »Ah ...« Jetzt war es an ihr, die Sprache zu verlieren. Griselda konnte die Hitze auf ihren Wangen spüren, wusste, dass sie gerötet sein mussten.
Langsam zog er die Lippen nach oben, sanft, beruhigend. »Da Sie mir keine Ohrfeige verpasst haben, nehme ich an, dass Sie ... meinem Interesse nicht abgeneigt sind.«
Sie errötete noch stärker, zwang ihre Zunge aber zu arbeiten. »Nein, ich bin ... nicht abgeneigt, um welches Interesse auch immer es sich handeln mag.«
Sein verstörendes Lächeln wurde noch breiter. »Gut.«
Sie löste sich vorsichtig aus seinen Armen, und er ließ sie gehen, wenn auch nur zögernd.
»Und jetzt«, Stokes bemühte sich um eine ernste Miene, »wenn Sie mir bitte meine erste Frage beantworten wollen?«
Griselda drehte sich um und ging zu ihrem Lieblingssessel, setzte sich und versuchte stirnrunzelnd, sich zu erinnern.
Seufzend setzte er sich in den Sessel gegenüber. »Wo zum Teufel sind Sie gewesen?«
»Oh.« Ihr Gesicht hellte sich auf. »Ja. Ich war im East End. Zuerst habe ich meinen Vater besucht, habe dann bei den Busheis vorbeigeschaut. Der Black Lion Yard liegt ja praktisch auf dem Weg.«
»Wie kommen die Busheis zurecht? Sind die Wills-Burschen auch dort gewesen?«
Sie nickte. »Mary und Horry geht es gut, obwohl Mary ein wenig aufmüpfig wird, weil sie drinnen bleiben muss. Zwei der Wills waren bei ihr, haben gewürfelt und Horry Unterricht erteilt. Danach habe ich der alten Edie einen Besuch abgestattet, die Lady in der Petticoat Lane, die Knöpfe verkauft. Sie hat versprochen zu versuchen, den alten Grimsby aufzuscheuchen, aber sie meinte, er benimmt sich wie ein alter Griesgram. Hockt nur noch zu Hause. Schon seit Jahren hätte sie ihn nicht mehr gesehen und kennt auch niemandem, dem es anders erging.«
»Das heißt, Grimsby bleibt auf unserer Liste ... der letzte Name, den Ihr Vater uns gegeben hat.« Stokes zog eine Grimasse. »Unglücklicherweise gibt uns das keine Garantie, dass es auch tatsächlich der Mann ist, bei dem sich die Jungen befinden.«
»Nein.« Betrübt schüttelte Griselda den Kopf. »Aber es muss einfach einen Weg geben, etwas über sie zu erfahren. Irgendjemand muss sie doch gesehen oder gehört haben ... irgendjemand muss sie doch bemerkt haben.«
»Unsere Steckbriefe hängen überall da draußen.« Stokes hatte vollstes Verständnis für ihre Enttäuschung. »Wir müssen uns gedulden und abwarten, ob das Versprechen auf eine Belohnung nützliche Informationen abwirft.«
»Bisher noch nichts?«
Stokes schüttelte den Kopf. Nachdem er sie ein paar Sekunden lang grüblerisch angeschaut hatte, rutschte er nach vorn, ergriff ihre Hand, nahm sie zwischen seine. Mit seinen Daumen strich er über ihre Finger und schaute sie dabei unbeirrt an. »Mir ist klar geworden, dass Sie sich im East End sicher fühlen. Dass es Ihr
Weitere Kostenlose Bücher