Im Feuer der Nacht
Rein logisch gesehen konnte man ihr keinerlei Schuld zuweisen. Und doch hatte sie das Gefühl beschlichen, dass sie es irgendwie hätte verhindern müssen.
Der Verlust Jemmies hatte das Gefühl nur noch verstärkt. Indem sie seine Mutter ermordet und den Jungen entführt hatten, hatten Smythe und Grimsby - und darüber hinaus auch Alert -unmittelbar auf sie gezielt. Das war der Augenblick gewesen, an dem sie die Ermittlungen unausgesprochen zu einer sehr persönlichen Angelegenheit gemacht hatte.
Und jetzt, nachdem ihnen so viele Wege aus dem einen oder anderen Grund versperrt waren, befiel sie eine Mischung aus tiefer Erschöpfung und Furcht, die ihren Geist zu verzehren drohte.
Sie mussten einen Weg finden, Jemmie und Dick zu retten. Um jeden Preis.
Aber sosehr sie sich auch den Kopf zerbrach, es wollte ihr einfach nicht einfallen, welche Schritte in die richtige Richtung weisen würden.
»Irgendwas Neues über die beiden Burschen, Ma’am?«
Penelope schaute auf und entdeckte Mrs. Keggs, die kurz lächelte. »Leider nein.«
Die Respekt einflößende Hausdame seufzte und schüttelte ihr graues Haupt. »Es ist ein Kümmernis. Zwei unschuldige Kinder in der Hand eines Mörders.«
»In der Tat.« Um die Angestellten nicht zu demoralisieren, rang Penelope sich zu einer zuversichtlichen Miene durch. »Wir, das heißt Mr. Adair, Inspektor Stokes und andere, tun unser Bestes, um Dicks und Jemmies Aufenthaltsort zu ermitteln.«
»Aye, und es ist eine große Erleichterung, dass die beiden nicht in Vergessenheit geraten sind.« Mrs. Keggs klatschte in die Hände. »Wir alle beten, dass es Ihnen gelingt. Und zwar bald.«
Mrs. Keggs nickte und verschwand.
Alle Zuversicht hatte sich verflüchtigt, als Penelope mit einer Grimasse auf die offene Tür blickte. »Ich auch, Mrs. Keggs. Ich auch.« Beten. Das war offenbar alles, was ihr zu tun blieb.
»Mir will einfach nichts einfallen.« Stokes marschierte in seinem Büro auf und ab, warf Barnaby einen scharfen Blick zu und lehnte sich einmal mehr an die Kante seines Schreibtisches. »Dir etwa?«
Barnaby schüttelte den Kopf. »Wir sind den Fall schon tausendmal durchgegangen. Smythe hat die Jungen in seiner Gewalt, und wir haben nicht die geringste Chance, sie kurzfristig zu finden. Es sei denn, der Allmächtige höchstpersönlich hat seine Finger im Spiel.«
»Aber es muss kurzfristig sein. Uns bleibt nur noch wenig Zeit.«
»In der Tat. Alert ... inzwischen haben wir ein besseres Gefühl für das Spiel, das er spielt, ich bin mir sicher, dass es uns gelingen wird, ihn zu identifizieren. Rechtzeitig.« Seine Stimme klang härter. »Das heißt, so schnell wie möglich. Montague hat mich heute Morgen benachrichtigt, dass er genügend über unsere elf verdächtigen Gentlemen in Erfahrung gebracht hat, um behaupten zu können, dass sie alle in gewisser Hinsicht verschuldet sind. Nicht besonders überraschend, bedenkt man ihr Alter und die Tatsache, dass sie sämtlichst Junggesellen sind.«
Barnaby atmete tief durch. »Wie auch immer, es hängt von den Umständen ab, wie bedeutend die Schulden sind. Montague blieb nicht genügend Zeit, um in diese Richtung zu forschen. Er meint, dazu bräuchte er mindestens ein paar Tage.«
Stokes verzog das Gesicht. »Keiner meiner Kontakte konnte auch nur mit dem geringsten Hinweis aufwarten, dass einer der elf in dunkle Machenschaften verstrickt ist.«
»Ich kann mir nicht vorstellen«, erwiderte Barnaby, »dass Alert sich plötzlich mit läppischen kleinen Vergehen begnügt. Oder dass er sich in seiner Vergangenheit mit Verbrechern eingelassen hat. Er ist klug und umsichtig, selbst wenn er mehr und mehr anmaßend wird.«
Brummend marschierte Stokes auf und ab. »Er hat allen Grund, anmaßend zu sein. Bis jetzt hat er uns jedes Mal übers Ohr gehauen.«
Barnaby erwiderte nichts. Zum ersten Mal in seiner kriminalistischen Laufbahn war er wirklich mit seiner Weisheit am Ende, zumindest was die Ermittlung des Aufenthaltsortes der Jungen betraf. Alert würde er verfolgen und unter Umständen auch zur Strecke bringen, aber die Jungen retten ...
Dabei hatte er Jemmies Mutter und dem Jungen selbst ein Versprechen gegeben. Es lastete bleiern auf seiner Seele und auf seiner Ehre, dass er den Jungen verloren hatte. Dass er entführt worden war, bevor er sein Versprechen hatte erfüllen können ...
Und als ob das noch nicht reichte, machte es Penelope schwer zu schaffen, dass sie Jemmie und Dick verloren hatte. Mehr als er es sich je
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