Im fünften Himmel
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Ins Service-Center von Clear Sky scheint etwas Bewegung zu kommen. Aus der Entfernung ist es schwer zu erkennen, aber es sieht aus und klingt, als hätten die Frauen vor Jessica sich untergehakt, schunkelten hin und her und ⦠sängen? Er dreht das Ohr in Richtung des Geräuschs und kann ganz schwach die Aaaaahs , Uuuuuus und Ooooohs ausmachen, irgendwas Musikalisches â¦
»Taschentuch?«, flirtet eine Stimme hinter ihm.
Marcus dreht sich zu der Frau mit der kalkuliert verführerischen Stimme um. Sie ist auf eine Art attraktiv, die die meisten Männer attraktiv fänden, aber Marcus ist nicht die meisten Männer. Laut dem Namensschild auf ihrem winzigen schwarzen Blazer heiÃt sie Jonelle. Marcus assoziiert wild ein paar mögliche Berufe für Jonelle: Sie ist Therapeutin. Parfümberaterin. Masseuse. Sofort bereut er, in die Falle vorschneller Urteile getappt zu sein, und versucht es mit einem Lächeln wiedergutzumachen. AuÃerdem nimmt er aus Höflichkeit ein Taschentuch, benutzt es aber nicht.
»Sie machen den Eindruck, als hätten Sie sich verlaufen«, sagt Jonelle.
Er weiÃ, wenn Natty jetzt hier wäre, würde er den Verstand verlieren, wie immer, wenn Marcus von einer attraktiven Frau angesprochen wird. Besonders würde ihn Jonelles Umkehrung der üblichen Scharfe-Braut-Eröffnung amüsieren.
»Du kannst nicht in die Ãffentlichkeit gehen, ohne dass irgendeine scharfe Braut dich nach der Uhrzeit oder dem Weg oder einer Empfehlung von der Speisekarte fragt«, hatte Natty einmal bemerkt.
»Und?«
»Scharfe Bräute suchen ständig irgendeinen Grund, mit dir ins Gespräch zu kommen«, sagte Natty. »Das ist wie die albernen Dialoge vor den Fickszenen im Porno.«
Marcus hatte bloà die Achseln gezuckt, nicht weil die Beobachtung unzutreffend, sondern weil sie ihm peinlich war. Seit der Pubertät wird er von attraktiven Frauen angequatscht und im gegenwärtigen Zustand noch viel mehr â »sexy verwahrlost« könnte man ihn nennen, und bei den hingerissenen Erstsemesterstudentinnen hat er den Spitznamen »Professor Schlampe«. Natürlich ist er in Wirklichkeit gar kein Professor, aber da er fast zehn Jahre älter ist als die jüngsten Studenten, könnte er ebenso gut einer sein. (Hätte sich ihre Affäre nicht gröÃtenteils in den Sommerferien abgespielt, als kaum Studenten auf dem Campus waren, wäre die Bezeichnung vielleicht auf die berüchtigte Anthropologieprofessorin übergegangen. Doch Marcus denkt nicht gern daran, wie nah dran es war.)
Noch ehe er in die Orientierungsphase eingestiegen war, hatte Jessica ihn schon vor den Spitznamen gewarnt. Sie wusste, wenn jemand so eine auffällige, geradezu überirdische Erscheinung an der Uni zu werden versprach, konnte der Spott nicht ausbleiben, und sie führte ihn sogar als Beleg dafür an, dass sie unmöglich die Freundin â oder Verlobte â eines dreiundzwanzigjährigen Erstsemesters sein konnte. Doch auch Jessica hatte nicht vorhersehen können, wie viele Frauen sich veranlasst sahen, ihm einen Codenamen zu geben. Für eine verschworene Arbeitsgruppe, deren Mitglieder sich jeden Montag und Mittwoch zwischen 13 Uhr 30 und 14 Uhr 50 im Seminar REL 382 »Tod und Jenseits in ostasiatischen Kulturen« Tagträumen über ihn hingeben, ist er »Der verletzte Buddha«. Eine schnatternde Clique aus Princetons ältester und prätentiösester weiblicher Geheimgesellschaft nennt ihn »The Mark«, was keine falsch geschriebene Abkürzung seines Namens ist, sondern »Das Ziel« bedeutet, denn das Elitemädchen, das ihn ins Bett kriegte, würde eine groÃe Summe Geld gewinnen. Marcus wüsste von alldem gar nichts, wenn Natty ihn nicht informieren würde. Der profitiert sehr davon, dass Marcus mit keiner Frau schläft, die 1990 oder später geboren ist, denn da er sich ständig in Marcusâ Nähe aufhält, ist er die erste Wahl für einen Ersatzfick zur Gesichtswahrung (»Wofür hält dieser Marcus sich eigentlich? So scharf ist er nun auch wieder nicht«).
Ohne Natty würde Marcus diese Mädchen kaum bemerken. Er ist viel zu beschäftigt mit den Mädchen aus seiner Vergangenheit, mit denen er eine echte â wenn auch kurze und verkommene â Verbindung eingegangen war. Ãber vierzig Mädchen, so hat man ihm
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