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Im Funkloch

Im Funkloch

Titel: Im Funkloch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Falko Löffler
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zu erzählen, dass er wegwollte. Genauso gern motzte er dabei über seine Mutter, die ihm angeblich das Leben zur Hölle machte.
    Als Lucas einmal bei einem Straßenfest Stunk angefangen hatte und verprügelt worden war, hatte er am nächsten Tag behauptet, sein Vater habe ihn geschlagen. Eine übereifrige Lehrerin hatte daraufhin das Jugendamt verständigt, und die Mutter hatte aufklären müssen, dass der Vater schon lange in Stuttgart mit einer anderen Frau wohnte und dass er auch am betreffenden Wochenende nicht in Frankfurt gewesen war. Das Jugendamt hatte sicher schnell gemerkt, dass nicht Lucas' Vater oder Mutter das Problem waren, sondern Lucas selbst.
    Tatsächlich war er schon einige Male ausgerissen.Zumindest hatte es so ausgesehen – er war nie weit gekommen, hatte irgendwo im Rhein-Main-Gebiet bei Bekannten abgehangen.
    Es gab Momente, in denen er ganz vernünftig war. Dann konnte er witzig sein, sogar hilfsbereit. Aber irgendwas brannte immer wieder in ihm durch – wenn alles gut und rund lief, musste er querschießen.
    Bei ihm war alles eine große Show. Aber die konnte ganz schnell kippen.
    »Vielleicht ist ihm diesmal wirklich was passiert«, meinte Kevin neben mir, der offenbar ähnliche Gedanken hatte. »War schon ziemlich steil in der Pampa.«
    »Ich hab's aus nächster Nähe gesehen. Kann auch sein, dass er abgehauen ist«, gab ich zurück.
    Die Tür wurde aufgestoßen und knallte gegen die Wand, heftiger noch als ein paar Augenblicke vorher.
    Es war Lucas.
    Zumindest konnte man ihn unter dem Schlamm erahnen, der ihn auf der rechten Körperseite von den Schuhen bis zum Kopf bedeckte und sogar in den Haaren klebte. »Da seid ihr ja, Leute!«, rief er, grinste wild und trank einen Schluck aus der Halbliter-Bierdose in seiner Hand.
    Frau Herzig stampfte in seine Richtung. »Wo warst du?«
    Lucas hob die Bierdose und beschrieb mit ihr einen Halbkreis. »Bier holen«, meinte er. Ich sah in seinen Augen, dass das nicht die erste Dose des Abends war. »Ist schon eine echte Scheißgegend hier.«
    »Bist du bis hierher gelaufen?«
    »Nee. Anhalter.« Er bemerkte, dass Frau Herzig vorwurfsvoll auf die Bierdose blickte. »Immerhin haben die hier 'ne Tanke. Wir müssen nicht verdursten.« Demonstrativ nahm er einen weiteren tiefen Schluck.
    Sie riss ihm die Dose vom Mund, bevor er reagieren konnte. »Aufs Zimmer«, befahl Frau Herzig.
    Überrumpelt schaute Lucas sie an, dann zur Bierdose. Seine Kiefermuskeln verkrampften sich. Ich erwartete fast, dass er die Dose wütend an sich reißen würde. Aber Lucas machte einfach einen Schritt um Frau Herzig herum – und drängte sich auf die Sitzbank, auf der einige Gymmi-Mädchen saßen. Die schoben sich von ihm weg, um nichts von dem Matsch abzubekommen. Lucas lud sich eine Riesenportion Nudeln auf den Teller.
    Frau Herzig war fassungslos. »Hast du nicht gehört? Aufs Zimmer! Duschen, umziehen!«
    Lucas begann zu essen. Schlamm tropfte von seiner Jacke auf den Boden.
    Die Lehrerin schaute zu Passlewski, der selbst aussah,als müsste er dringend unter die Dusche. »Du hast sicher Hunger, Lucas«, sagte er betont ruhig. »Aber danach bitte gleich duschen, ja?«
    Auch auf ihn reagierte Lucas nicht.
    Frau Herzig war kurz vorm Explodieren, aber Passlewski machte eine beschwichtigende Handbewegung – und verschwand auf sein Zimmer. Frau Herzig starrte auf die Bierdose in ihrer Hand, als wüsste sie nicht mehr, wie die dorthin gekommen war.
    Lucas schaufelte sich das Essen rein, als hätte er gerade die Sahara durchquert. Wir anderen aßen auch weiter, aber die Stimmung war jetzt im Eimer.
     
    Nach dem Essen verschwand Lucas nach oben, und Frau Herzig fand in einem Wandschrank einen Stapel Brettspiele und Kartenspiele und verteilte sie demonstrativ auf den Tischen. Das Echo darauf fiel zunächst alles andere als begeistert aus, die meisten verdrückten sich.
    Ich stand noch unentschlossen im Rahmen der Küchentür, als Kevin und Noel vom Flur eintraten. Kevin kam zu mir rüber, während Noel sich irgendwo dazusetzte.
    »Ich hab schon bessere Beerdigungen erlebt«, raunte Kevin mir zu.
    Ich nickte. Aber weil die Alternative zu einem Abend im Gemeinschaftsraum darin bestand, in denZimmern rumzuhocken, kehrten nach und nach immer mehr Leute zurück.
    Eine Horde Mädchen kam rein, darunter auch Annabelle. Sie entdeckte das Spiel, vor dem Noel saß, und rief begeistert, das sei ihr Lieblingsspiel. Sie setzte sich neben ihn – und augenblicklich lief Noel rot an.
    Und

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