Im Glanz der roten Sonne Roman
sie dann Tausende von Exemplaren mehr verkaufen können.«
»Ich brauche wohl nicht zu raten, welche Plantage du kürzlich besucht hast und wo du auf den ›Missbrauch der schlimmsten Sorte‹ gestoßen bist?«
»Ich nenne keine Namen, Jules. Ich will keinen Rufmordprozess riskieren.«
»Wie überaus rücksichtsvoll. Also gut, lass mich einen Blick auf deinen Text werfen.«
Eve hätte vor Freude jubeln können, hielt sich jedoch zurück und reichte Jules ihren Artikel.
Er riss ihn ihr förmlich aus der Hand, doch seine Miene blieb gleichgültig. Sein Gesicht gab auch dann noch nichts preis, als er die Brille aufsetzte und zu lesen begann, von Eve in atemloser Spannung beobachtet. Sie wusste aus Erfahrung,dass Jules seine Gefühle selten zeigte. Meist wirkte er mürrisch, ja unfreundlich, und ging mit Lob sehr sparsam um. Bei ihrer ersten Begegnung hatte er Eve mit seiner Art regelrecht verschreckt, doch sie hatte inzwischen gelernt, ihm gegenüber selbstbewusst aufzutreten.
Während sie ihn beobachtete, runzelte er die Stirn. Wahrscheinlich las er gerade den Abschnitt über die Arbeiterquartiere auf Max Courtlands Willoughby-Plantage. Für einen Augenblick fragte sich Eve, ob sie zu weit gegangen war.
Jules bewunderte Eve für ihre Art zu schreiben, hatte es ihr aber nie gesagt. Außerdem hatte er erst kurz zuvor die Ergebnisse einer Meinungsumfrage gelesen, aus denen hervorging, dass die Mehrheit der Bevölkerung der Ausbeutung polynesischer Arbeiter ein Ende bereiten wollte und lieber mehr Arbeit für die steigende Zahl europäischer Einwanderer wünschte. Die kanakas , hatte Jules gelesen, sollten in naher Zukunft in ihre Heimat zurückgebracht werden. Also kam Eves Artikel gerade recht, doch Jules hatte nicht die Absicht, ihr das zu sagen. Wenn die kanakas tatsächlich in ihre alte Heimat zurückkehrten, würde dies der Herrschaft Max Courtlands über Geraldton ein Ende bereiten. Dann wäre er nur noch einer von vielen Plantagenbesitzern, die hart schuften mussten, um ihre Familie und ihre Leute zu ernähren.
»Der Artikel müsste ein wenig umgeschrieben werden«, sagte Jules.
In Eve stieg Freude auf. »Heißt das, Sie werden ihn veröffentlichen?«
»Aber wenn es Probleme gibt, Eve, möchte ich dich nie wieder hier sehen!«
»Oh, vielen Dank, Jules!«
»Wenn ich diese Entscheidung bedauern muss, wirst du mir nicht mehr danken. Hast du etwas für die Gesellschaftskolumne geschrieben?«
»Nein.«
Jules hörte den Widerwillen in ihrer Stimme. »Am Samstag findet ein Ball statt. Könntest du hingehen und mir gleich am Montagmorgen einen Artikel darüber bringen?«
Eve blickte ihn ungläubig an. »Wollen Sie wirklich, dass ausgerechnet ich zum Erntedankball gehe und einen Artikel darüber schreibe?«
»Ganz recht.« Eigentlich hatte Jules den Auftrag Irwin geben wollen, doch er konnte sich vorstellen, wie Irwin durch den Türspalt geschielt hätte, voller Furcht, jemand könnte ihn bemerken. »Ich würde ja selbst gehen, aber ich bin zu einer Hochzeitsfeier in Babinda eingeladen.«
Eve dachte nach. Jules wollte ihren Artikel veröffentlichen, also war sie ihm etwas schuldig. Doch sie hatte nichts Passendes zum Anziehen; außerdem gefiel ihr die Vorstellung nicht, allein zum Ball zu gehen.
Jules schien ihre Gedanken zu lesen. »Ich bin sicher, du wirst irgendein hübsches Kleid auftreiben, Eve. Außerdem brauchst du einen Begleiter. Irwin wird mit dir gehen.« Jules hätte beinahe gelächelt bei dem Gedanken, was für ein seltsames Paar die beiden abgeben würden: Irwin, der Schüchterne, und Eve, die Eigenbrötlerin.
Eve schaute Irwin an, der seinerseits ziemlich verwundert dreinblickte. Er sah nicht schlecht aus, doch sie brauchte nur in seine Richtung zu blicken, und sein Gesicht nahm die Farbe Roter Bete an.
»Also gut. Ich hoffe, Sie bezahlen mir etwas dafür, Jules.«
Jules bedachte sie mit einem gereizten Blick. »Eigentlich müsstest du mich für all die Probleme entschädigen, die durch deine Artikel entstanden sind.«
Eve schaute ihn gelassen an. »Das werden Sie nicht mehr sagen, wenn Ihre Auflage sich verdoppelt hat.« Nach einem letzten Blick auf Irwin, der sich in einem regelrechten Schockzustand zu befinden schien, wandte sie sich um. »Wir sehen uns am Samstag.«
16
W ährend Milo in der heißen Nachmittagssonne heimwärts ritt, schweiften seine Gedanken zurück zu den Anfängen der Plantage. Milo hatte so eingehend über Letitia nachgedacht wie schon lange nicht mehr, seit er
Weitere Kostenlose Bücher