Im Glanz der roten Sonne Roman
richtig gesehen«, sagte er. »Du siehst ...« Jordan stockte. Er hatte sagen wollen: »Du siehtanders aus«, doch dann sprach er aus, was er wirklich dachte: »Du siehst wundervoll aus.« Sein Blick wanderte von ihren seidig glänzenden Haaren bis hinunter zu ihren zierlichen Füßen. Er hatte sie kaum jemals ohne Hut gesehen, und noch nie in einem Kleid. Ihres war schlicht, aber elegant und ausgesprochen hübsch.
»Danke«, gab Eve verlegen zurück. Sie hatte damit gerechnet, dass Jordan – der den ganzen Tag bei Alberto Santini gewesen war – sich mit den hübschen jungen Frauen aus der Stadt unterhielt, ohne Notiz von ihr zu nehmen oder gar zu ihr zu kommen.
»Darf ich um diesen Tanz bitten?«
Ihre Augen wurden groß. »Sie ... möchten mit mir tanzen?«
»O ja. Und lass die Förmlichkeiten. Wir kennen uns jetzt lange genug, dass wir du sagen können, einverstanden?« Jordan griff nach ihrer Hand und zog sie hoch, ohne ihre Proteste zu beachten.
»Aber ich bin hier, um zu arbeiten«, sagte Eve, um nicht zugeben zu müssen, dass sie noch nie gern getanzt hatte. »Ich schreibe einen Artikel für die Gazette .«
»Einen Tanz wirst du mir doch wohl schenken, Eve. Betrachte ihn als Recherche.«
»Jordan, es ist mein Ernst! Sie ... du ...«
»Wenn du unbedingt arbeiten willst, kannst du mich ja interviewen, während wir tanzen.«
Bevor Eve wusste, wie ihr geschah, waren sie schon auf der Mitte der Tanzfläche, und sie fühlte sich von Jordans starken Armen gehalten. Im Unterschied zu ihren Schwestern war Eve klein und zierlich, und sie hielt den Blick hartnäckig auf ihre Füße gesenkt. Jordan führte sie behutsam, und bald wurden ihre Schritte leichter.
»Ich tanze wirklich nie«, sagte Eve, als er sie scheinbar mühelos über die Tanzfläche manövrierte.
»Dann hast du eine gute Doppelgängerin«, gab Jordan zurück. Er konnte ihre weiblichen Formen spüren, die sonst immer unter weiten Männerhemden versteckt waren. Leicht wie eine Feder lag sie in seinem Arm, während sie sich im Walzertakt wiegten. Eve konnte selbst kaum glauben, dass sie so anmutig tanzte, wo sie beim Gehen solche Schwierigkeiten hatte. Jordan beobachtete, wie ihr Selbstvertrauen wuchs, und war ein wenig stolz darauf. Eve schien in seinen Armen förmlich aufzublühen.
Lexie und Celia starrten das Paar ungläubig an.
»Nicht zu fassen, dass es Evangeline ist, die sonst kaum gehen kann!«, meinte Celia boshaft.
»Sie sieht tatsächlich wie eine Frau aus«, fügte Lexie nicht minder gehässig hinzu. »Was meinst du, Mutter?«
Letitia schaute zu, wie Jordan und Evangeline über die Tanzfläche glitten. Ihr entging nicht, dass Jordan ihre Tochter anblickte, als sähe er sie zum ersten Mal.
»Sie sieht wundervoll aus«, sagte Letitia leise. »Ich habe immer gewusst, dass unter der jungenhaften Fassade Evangelines eine wunderschöne Frau verborgen ist ...«
Celia und Lexie schauten sich an, als hätte ihre Mutter den Verstand verloren.
Max betrat den Gemeindesaal in Begleitung von Frank Morrison. Sie hatten beide schon einiges an Bier getrunken. Eigentlich wollte Max nur Letitia holen und mit ihr nach Hause fahren, denn nachdem er Eves Artikel gelesen hatte, war ihm nicht mehr nach feiern zumute. Er schaute sich im Saal um, bis sein Blick sich auf die Tanzfläche richtete. Er starrte auf Jordan Hale. Und dann erkannte er die junge Frau in dessen Armen.
Evangeline.
Max’ Gesicht lief vor Wut dunkelrot an. Letitia blickte gerade rechtzeitig zur Tür, um zu sehen, wie ihr Mann zurTanzfläche stapfte. Ein Blick in sein wutverzerrtes Gesicht genügte ihr, um zu wissen, was er vorhatte.
»O Gott ...«, flüsterte sie, ließ sich auf einen Stuhl sinken und kippte ihren zweiten Drink hinunter.
»Willst du mich ruinieren?«, brüllte Max Eve an.
Die Band hörte zu spielen auf, die Tänzer verharrten. In der Halle wurde es still, und alle Blicke richteten sich auf Max, der schwer atmend dastand.
Eve fühlte, wie ihr die Knie weich wurden, und alle Farbe schwand aus ihrem Gesicht. Doch sie blieb ruhig stehen und hob entschlossen den Kopf. Zwar hatte sie die Zeitung noch nicht gesehen, doch offensichtlich war ihr Artikel veröffentlicht worden. Sie hatte mit einem Wutausbruch ihres Vaters gerechnet und geglaubt, darauf vorbereitet zu sein, doch nun, da sie in Jordans Armen lag, hätte sie sich eine Auseinandersetzung mit Max am allerwenigsten gewünscht.
Eve starrte ihren Vater stumm an. Ihr Herz pochte so laut, dass sie glaubte,
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