Im Glanz der roten Sonne Roman
sich zu ihrer eigenen Verwunderung stark und ruhig. Sie hob den Kopf und sagte laut und deutlich und ohne jede Furcht vor den Folgen, die ihre Worte haben konnten: »Eve ist ohnehin nicht deine Erbin, und dafür danke ich Gott an jedem Tag meines Lebens.«
Kaum hatte sie die Worte ausgesprochen, fühlte Letitia sich zum ersten Mal seit fast zwei Jahrzehnten leicht und frei und unbeschwert.
Max starrte sie fassungslos an. »Was soll das heißen?«, fragte er dann mit vor Anspannung heiserer Stimme.
»Du bist doch ein kluger Mann. Denk darüber nach!« Letitia wandte sich um und ging hinaus.
Max hatte sich Eve nie besonders verbunden gefühlt, hatte dies jedoch immer darauf geschoben, dass sie bei seiner Schwester aufgewachsen war. Niemals hatte er den Verdacht gehegt, Letitia könnte ihn mit einem anderen Mann betrügen. Er musste wissen, wer es gewesen war!
Letitia ging durch die offene Verandatür, war aber noch keine zehn Schritt weit gekommen, als Max sie einholte. Er griff nach ihrem Arm und riss sie brutal zu sich herum.
Ein Blick in sein Gesicht genügte Letitia, um genau zu wissen, was er dachte. »Wenn du befürchtest, einer deiner so genannten Freunde könnte ihr Vater sein – keine Bange!«
Max starrte sie an. »War er ein Fremder auf der Durchreise?«
Sie hörte die Verachtung in seiner Stimme. Er unterstellte ihr, eine Hure zu sein.
»Nein«, sagte sie ruhig. »Ich habe Eves Vater von ganzemHerzen geliebt.« Ihm das zu sagen, erfüllte sie mit tiefer Befriedigung.
Max trat einen Schritt zurück und blickte seine Frau an, als hätte er eine Fremde vor sich.
»Bist du so selbstgefällig, dass du dir nicht vorstellen kannst, ich könnte keinen anderen Mann lieben als dich?«, fragte sie.
»Du darfst keinen anderen Mann lieben als mich! Du bist meine Frau!«, fuhr Max sie an.
»Du warst mir schon viele Jahre lang kein Ehemann mehr, das kannst du nicht leugnen. Deshalb trinke ich zu viel, und deshalb bin ich einsam wie ein Eremit. Wir bedeuten einander längst nichts mehr, und ich sehe keinen Sinn darin, diese Farce einer Ehe noch weiter zu spielen.«
»Wer ist Evangelines Vater?«, stieß Max hervor, der nun so wütend war, dass er Eves vollen Namen kaum auszusprechen vermochte.
»Das werde ich dir nie erzählen«, gab Letitia zurück, und ihr Tonfall verriet ihm, dass sie es ernst meinte.
Max hob die freie Hand, doch Letitia blickte ihn furchtlos an. »Solltest du mich jemals schlagen, werde ich mich mit meiner Tochter zusammentun und alles unternehmen, um dich zu ruinieren«, sagte sie ruhig.
Max starrte sie hasserfüllt an. Er konnte den Sinn ihrer Worte kaum erfassen. Seine Letitia hatte niemals aufbegehrt oder Drohungen ausgestoßen. Sie war eine artige, gehorsame, treue Frau gewesen, die tat, was er wollte. Die Frau jedoch, die ihm jetzt gegenüberstand, war eine Fremde.
»Ich werde mich mit meinen Eltern in Verbindung setzen und zu ihnen nach Neuseeland reisen, sobald ich kann. Dieses Schmierentheater hier ist zu Ende.«
»So einfach ist das nicht, Letitia! Ich werde dich nicht gehen lassen. Und werde dir auch nicht erlauben, dass du Alexandra und Celia mitnimmst!«
Letitia erwiderte kühl seinen Blick. Wie berechenbar er war – und wie entschlossen, sich bis zuletzt kalt und gefühllos zu zeigen. »Die Mädchen sind alt genug, ihr eigenes Leben zu führen, und es wird Zeit, dass ich es ebenfalls tue. Du kannst mich nicht aufhalten. Und keine Angst, ich stelle keine Forderungen an dich. Ich möchte nur eins: Evangeline die Wahrheit sagen.«
Letitia wandte sich wieder um und vergaß für einen Moment, dass sie sehr nahe an der Treppe stand. Sie zögerte kurz, um im Dunkeln sicheren Tritt zu finden. Im selben Moment streckte Max impulsiv den Arm nach ihr aus, um sie festzuhalten, und brachte sie dabei unabsichtlich aus dem Gleichgewicht. Letitia schrie leise auf und wollte nach dem Treppengeländer greifen, doch ihre Hand packte ins Leere. Beim Versuch, sich zu fangen, blieb ihr Schuh im Saum ihres Kleides hängen, der daraufhin zerriss und ihr das Gelenk verdrehte.
Hilflos und in stummem Entsetzen beobachtete Max, wie sie stürzte.
»Letitia!«, rief er mit gellender Stimme. Er hörte einen dumpfen Aufprall am Fuß der Treppe, der ihn schaudern ließ. Dann herrschte gespenstische Stille.
Als Max die Stufen hinuntereilte, fand er seine Frau regungslos am Boden liegen. Im Mondlicht sah er eine blutende Kopfwunde. Obwohl er reichlich Rum getrunken hatte, war er schlagartig
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